Entwicklungsgespräch im Kindergarten – oder: „Was ist ein Bügeleisen?“

Kindergarten_Kinder_spielen
Quelle: Pixabay.com
Es war wieder ein Jahr vergangen und das nächste Entwicklunggespräch stand an. In regelmäßigen Abständen wird im Kindergarten der Entwicklungsstand der Kinder – ich glaub die Erzieherin meinte einmal an Hand des Berliner Modells – überprüft und einmal im Jahr wird diese Entwicklung den wissbegierigen Eltern mitgeteilt.
Jetzt werdet Ihr Euch vielleicht fragen, was denn diese Entwicklungsgespräche sein sollen. Folgende Definition zu Entwicklungsgesprächen habe ich im Netz gefunden:
„Entwicklungsgespräche sind individuelle Gespräche, in denen sich Eltern und Erzieherin über die Entwicklung des Kindes austauschen. Sie finden regelmäßig mit allen Eltern statt, basieren auf Beobachtungen, die Erzieherin und Eltern vom Kind machen, und dienen der Sensibilisierung der Eltern für ihr Kind und der gemeinsamen Abstimmung bei der Begleitung der kindlichen Entwicklung. Entwicklungsgespräche werden von der Erzieherin initiiert. Sie sollten in der Konzeption der Einrichtung verankert werden.“ (1)
So watschelte ich dann diesen Freitag um 13 Uhr, zur Mittagsschlafzeit, in den Kindergarten. Es war gespensig still. Alle Kinder schliefen oder waren zumindest ruhig. Kein Gekreische, kein Gehüpfe, kein Geschupse. Der Kindergarten als Ruheoase. Faszinierend. Ich ging zum Besprechungsraum, wo mich die Erzieherin sofort empfang. Sie hatte den Ordner von Wirbelwind dabei, in welchen sie den Alltag mit Fotos und Gebastelten dokumentieren und einzelne Entwicklungetappen festhalten.
Ich mochte die Erzieherin. Sie war schon etwas älter und strahlte IMMER diese Ruhe aus. Alles, was die Kinder anstellten konnte sie positiv umschreiben. Als unser Wirbelwind beispielsweise in die nächsthöhere Gruppe kam und nun die Kinder nicht mehr in Gitterbettchen, sondern auf Matratzen schlafen sollten, erkundigte ich mich bei ihr, wie das denn klappte. Ihre Antwort: „Sagen wir mal so: die Kleinen haben viel Spaß!“. Das nenne ich Optimismus.

Das Gespräch

Aber zurück zum Gespräch. Auch jetzt strahlte sie diese Ruhe aus, als könnte sie nichts aus der Bahn werfen. Sie gab mir den Ordner und bot mir an ihn einmal durchzublättern. Das Meiste kannte ich schon, denn Wirbelwind nahm ihn gerne mit nach Hause und zeigte uns ihre Erlebnisse im Kindergarten. Neu war die Lerngeschichte, die sie jetzt im November hinzugefügt hatte. Sie erzählte von ihrem Spielen mit Magnetbausteinen, die sie anscheinend sehr faszinieren. Das war für mich neu. Ich kannte diese Magnetbausteine bis dahin noch überhaupt nicht. Was sie dort gelernt hatte, erschloss sich mir jedoch nicht so recht.
Dann präsentierte sie mir eine Karteikarte, auf welcher fein säuberlich von einer Liste einzelne Kompetenzen bzw. Entwicklungsschritte und dazugehörige Erläuterungen ausgeschnitten und aufgeklebt wurden. Eine Arbeit! Sie ging sie mit mir durch und betonte immer wieder, dass Wirbelwind in allen Punkten sehr gut dasteht. Bei einigen Dingen war sie sich unsicher und fragte direkt bei mir nach. Dazu gehörte der Punkt „Benennt Erwachsene beim Vornamen“. Ich dachte gleich: Na, allein die Erzieher werden doch auch beim Vornamen genannt. Aber das wollte sie nicht wissen. Sie interessierte, ob sie uns Eltern beim Vornamen nennt. Ich bejahte überrascht und versicherte, dass auch die Großeltern beim Vornamen genannt weden. Sie stellte darauf hin fest, dass sie von Wirbelwind, als sie nach unseren Namen fragte, lediglich ein „Mama“ oder „Papa“ zu hören bekam. Ja, so ist es eben manchmal.
Dann gab es die Frage, ob sie Wörter, die sie nicht täglich sieht, beim Namen benennen kann. Als Beispiel war das Bügeleisen genannt. Ich zeigte drauf und kommentierte: „Bügeleisen kennt sie von uns überhaupt nicht“. Wir mussten beide lachen. Die Atmosphäre war sehr locker.
Dann stellte sie noch fest „Und Drei-Wort-Sätze spricht sie ja nun auch“. Auch hier war ich überrascht, beließ es aber bei dem Kommentar. Denn schließlich kenne ich von Wirbelwind deutlich komplizierter aufgebaute Sätze. Heute auf dem Spielplatz erst fragte sie mich „Willst Du ein Eis haben?“ Aber vielleicht gibt es im Kindergarten keine Sandspielzeug-Eistüten… .
Auch die Windel sprach sie an. Sie bemerkte, dass sie mit ihrem Alter gut in der Zeit ist, und Wirbelwind ja tagsüber auch trocken ist, aber zum Mittagsschlaf eben eindeutig noch die Windel brauche. Ich wunderte mich nur kurz, warum sie es dann ansprach, wenn doch alles in Ordnung ist.
Dann kam das einzige „Aber“: Die Farben beherrscht sie noch nicht. Das sei auch nicht schlimm, schließlich ist jedes Kind anders. Dennoch wird sie hier zukünftig genauer beobachtet. Das ist uns natürlich auch schon längst aufgefallen. Wenn die Ampel auf Grün schaltet, dann ruft sie zwar „grün“. Wenn ich ihr jedoch einen grünen, gelben, blauen und roten Ball vorhalte, dann ist es nur Zufall, dass sie mir den richtigen reicht. Immerhin beziffert sie inzwischen alles, was in Richtung Rosa, Lila oder Pink geht als „Lila“. Es ist sicherlich nur eine Frage der Zeit. Das zeigte mir dann auch die Tatsache, dass die von der Erzieherin vorgelegten Entwicklungsstufen für ein Alter von 2,6 Jahren gedacht sind. Wirbelwind wird jedoch erst im Januar 2,6. Das wird. Spätestens nach Weihnachten wird sie die Farben Rot und Gold doch verinnerlicht haben 😉
Ich ging mit einem guten Gefühl aus dem Gespräch und war dankbar für die neuen Erkenntnisse, die ich mitnehmen konnte.

Und was heißt das nun?

Gestern erzählte ich dann einer Freundin vom Gespräch, eigentlich völlig wertfrei habe ich erzählt, worauf beim Wirbelwind geachtet wird, was sie gut kann, und was weniger. Ich erntete einen recht kritischen Kommentar. Sie stellte die Sinnhaftigkeit dieser Gespräche, na eigentlich vielmehr das ständige Abhaken dieser altersgerechten Entwicklungstrufen, in Frage. In der Zeit, in der sie die Fotos knipsen, entwickeln und einkleben und die Checklisten zur kindlichen Entwicklung durchgehen, könnten sie sich WIRKLICH einmal mit den Kindern beschäftigen.
Auch wenn ich die Ansicht etwas extrem finde, ganz Unrecht hat sie nicht. Einerseits finde ich den Ordner toll, weil wir so an dem Alltag im Kindergarten teilnehmen können. Andererseits ist schon etwas dran: die ganzen fein- und grobmotorischen, sprachlichen und kognitiven Entwicklungsschritte, kleinstsäuberlich für die jeweiligen Altersstufen vorgegeben sind, werden von den Erziehern einzeln durchgegangen und abgehakt. Das nimmt so dermaßen viel Zeit in Anspruch. Und ist doch einmal eine Unstimmigkeit zu erkennen, heißt es, jedes Kind entwickelt sich ja verschieden. Was bringt es dann?
Auch sind die Beobachtungen nicht immer sonderlich genau. So können die Erzieher gewisse Kategorien nur erahnen, da sie
Bereiche abfragen, die sie im hektischen Kita-Alltag nur schwer erfassen
können. So beispielsweise die Namen der Eltern.
Das finde ich grundsätzlich nicht weiter kritisch. Ich erhebe nicht den Anspruch, dass die Erzieher, auch wenn sie einen Großteil des Tages mit meinem Kind verbringen, es so gut kennen wie ich. Problematisch wird es erst dann, wenn den Entwicklungsgesprächen solche Funktionen unterstellt werden, wie die „Sensibilisierung der Eltern für ihr Kind“. Was sollen sie denn bitte schön sensibilisieren? Sollen sie uns die Schwächen unserer Kinder vor Augen führen? Sollen sie uns zeigen, in welchem Punkten die Kinder nicht der Norm entsprechen? Was soll das bringen?
Ich persönlich finde diese Gespräche sehr angenehm, weil ich auf diese Weise etwas mehr am Kita-Alltag teilnehmen kann. Ich habe die Möglichkeit Rückfragen zu stellen und Verbesserungsvorschläge zu machen. Mehr müssen diese Gespräche aus meiner Sicht nicht können. Ich brauche keine Sensibilisierung für mein Kind. Ich bin bereits sensibilisiert. Lächerliche Schwächen oder banale Entwicklungsschritte brauche ich nicht vorgehalten zu bekommen.
Wie seht Ihr das?
P.S.: Heute habe ich Wirbelwind übrigens ein Bügeleisen gezeigt und gefragt, ob sie weiß, wie das heißt. Sie antwortete: „Ja. Bohrmaschine“.
Quelle: 1,

4 Comments

  1. 24 November 2014 at 12:22 pm

    Hallihallo liebe Wiebke,
    ich kann der Meinung von dir und deiner Freundin nur zustimmen. Die Entwicklung muss schon festgehalten werden, aber nicht nach vorgegebenen Parametern für jedes Alter. Sondern eben individuell. Wann ein Kind was wann und wie gelernt hat. Und was es vielleicht selber lernen möchte aber noch nicht so gut kann. Viel wichtiger ist es doch, die Stärken zu fördern statt sich auf die Schwächen zu konzentrieren. Das frustriert nur alle Seiten. Aber mit den Lerngeschichten haben sie ja eigentlich schon einen guten Weg! Die Entwicklungstabellen werden nur teilweise als Pflichtprogramm für die Erzieher vorgegeben. Aber schön, dass du dich da nicht verunsichern lässt. Denn ich denke, da besteht für viele Eltern die Gefahr.
    Liebe Grüße

    • 25 November 2014 at 7:38 pm

      Hallo. Vielen Dank für Deine Rückmeldung. Ich gebe Dir 100 prozentig Recht! Schön, wenn auch andere meine Meinung teilen 🙂

  2. 3 Dezember 2014 at 6:09 pm

    Es gibt tatsächlich solche "Vorgaben", bis wann ein Kind welche Entwicklungsstufe erreicht haben sollte. Aber die Kleinen haben auch viele individuelle Besonderheiten, sodass meistens eine Zeitspanne angegeben wird (z.B. Das Kind sollte im Alter von X bis Y Monaten dieses oder jenes können). Grund zur Sorge besteht nicht, nur weil das Kind eine Sache scheinbar etwas langsamer lernt. Dafür kann es etwas anderes vielleicht besonders gut.
    http://psychologische-hilfe.blogspot.de/

  3. 30 Dezember 2014 at 11:24 pm

    Mh, da ich nicht weiß, ob es diesmal geklappt hat… zum dritten mal 😉
    Als Tochter einer Erzieherin weiß ich, dass diese Ordner sehr oft in der eigenen Freizeit gepflegt werden. Die Bilder werden Zuhause ausgedruckt und die Texte aus den Stichpunkten formuliert. Das erfordert viel Hingabe und Engagement. Denn leider wird die Pflicht zu dokumentieren selten mit dem recht auf "kinderfreie" Zeit verbunden. Also wird selbst die Mittagspause genutzt, um Bilder, Texte und Kunstwerke einzukleben. Eben mit einem Kaffee auf dem Tisch. Auch das Beobachten ist nur möglich, wenn sich eine zweite Person, beispielsweise ein Praktikant oder Kollege, währenddessen mit den Kindern beschäftigt.
    Aber diese Ordner sind auch der Beweis dafür, dass der Kindergarten mehr als eine "Kinderaufbewahrung" ist, und damit für die Verantwortung, die die Erzieher/innen tragen 🙂
    Mit vielen Grüßen
    Bine

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