Jammernd radelt Wölkchen hinter ihrer großen Schwester Wirbelwind hinterher. Hilflos ruft sie immer wieder:
Waaaarte auf mich!
Wieder sieht sie, wie ihr großes Vorbild etwas besser kann, als sie. Wieder versucht sie, etwas zu erreichen, was eigentlich nicht möglich ist. Wieder erlebt sie, dass sie überholt wird. Wieder und wieder spürt sie die Enttäuschung und den Frust.
Du bist groß, sie ist größer
Wir versuchen zu erklären: „Wirbelwind ist eben älter und größer, daher kann sie die Dinge schon besser. Deshalb kann sie schneller laufen und schneller Fahrrad fahren.“
„Aber ich bin auch groß!“, kommt bei solchen Dialogen unweigerlich aus Wölkchens schmollenden Mund.
Ja, sie ist auch schon groß. Sie kann schon alleine auf die Toilette gehen, braucht tagsüber keine Windel mehr. Sie fährt Fahrrad, schmiert sich ihr Brot alleine und weiß doch schon so viel von der Welt. Sie kann flitzen, ohne hinzufallen. Sie kann die höchsten Klettergerüste erklimmen und sogar von der Drehscheibe springen. Sie kann Roller fahren und Lieder singen. Sie kann bis 11 zählen und wunderschöne Dinge malen. Sie kann sogar schon erste Wörter schreiben.
Na klar, ist sie groß, aber Wirbelwind ist größer. Wird es immer sein. Denn auch Wirbelwind kann all das, was Wölkchen kann. Und noch mehr. Auch Wirbelwind kann bis 11 zählen, und noch weiter. Auch Wirbelwind kann Fahrrad fahren, und noch schneller. Auch sie kann flitzen, viel flinker. Und sie kann noch viel mehr Buchstaben schreiben.
Sie spürt es. Sie spürt, dass sie ihrer Schwester immer ein Stück hinterher ist. Auch wenn sie sich noch so sehr anstrengt. Sie spürt, dass es nie reicht. Nie.
Außer Wirbelwind macht extra langsam. Ja, das tut sie für ihre kleine Schwester. Dann ruft sie zum Wettbewerb auf und läuft oder fährt extra langsam zum Zielpunkt, damit Wölkchen gewinnt. Und Wölkchen freut sich darüber. Aber sicherlich spürt sie auch, dass das die Ausnahme ist. Das Wirbelwind nicht so richtig mitgemacht hat, bei diesem ungleichen Wettbewerb.
Die ewige Zweite
Sie wird immer die ewige Zweite sein. Sie ist die, die als zweites auf die Welt kam. Sie ist die, die nie ihre Eltern für sich hatte, sondern immer mit einer großen Schwester konkurriert. Sie ist diejenige, die immer erst bei Wirbelwind sieht, wie die Dinge gemacht werden können, und es dann selber probiert. Alles was sie tut, hat Wirbelwind bereits getan. Alles was sie erreicht, hatte auch ihre Schwester erreicht.
Es ist eine Krux, wie ein Wettlauf gegen die Zeit, die aber eben nicht rückwärts gedreht werden kann. Die Zeit läuft und Wirbelwind hat drei Jahre Vorsprung. Das lässt sich nicht ändern. Und sicherlich hat es viele Vorteile, eine große Schwester zu haben. Das nützt dem Wölkchen in den frustrierenden Momenten aber herzlich wenig. Sie sieht, dass es nicht reicht, dass sie mal wieder nicht gut genug ist. Die ewige Zweite.
Wie reagiert man darauf?
Und mir als Mutter bricht es das Herz. Wie macht man seinem jüngsten Kind Mut? Wie zeigt man ihm, dass es ganz wunderbar ist, so wie es ist, auch wenn es die Dinge (noch) nicht so gut kann, wie die große Schwester? Wie reduziert man diesen Frust, der unseren Alltag alltäglich begleitet?
Ich weiß es nicht. Vielleicht braucht es seine Zeit, bis Wölkchen so groß ist, dass sie ihre Nische findet, die sie von Wirbelwind unterscheidet. Eine Nische, in der sie besser ist, als ihre große Schwester. Wo sie erfährt, wie wunderbar sie ist, einfach weil sie so ist wie sie ist. Und nicht weil sie jemand anderem zu erreichen versucht.
Sie wird ihre Nische finden, dessen bin ich mir sicher. Doch bis dahin wird sie noch oft die ewige Zweite sein.
Kennt Ihr das? Wie reagiert Ihr als Eltern auf solche Situationen?
Eure Wiebke
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Ella
Liebe Wiebke, ich kenne das hier auch, aber sehe auch den Vorteil, den die kleineren Geschwister dadurch haben. Sie lernen besser mit Niederlagen umzugehen, bzw. dass es nicht darauf ankommt wer besser ist oder gewinnt, sondern auf den Versuch, den Mut und den Spaß an der Sache ? Liebe Grüße, Ella
verflixteralltag
Liebe Ella,
ja, da stimme ich Dir zu. Ich denke auch, dass sie dadurch schon früher lernen mit Niederlagen umzugehen. Aber frustrierend ist es dennoch aktuell.
Spaß an der Sache, das finde ich auch tausendmal wichtiger. Mal sehen, wann es die Kinder verstehen. 😉
Liebe Grüße,
Wiebke
Snowqueen
Liebe Wiebke, ich glaube, das ist ein zu erwachsener Blick auf die ganze Situation.
Unser Gehirn ist von Natur aus nicht auf Konkurrenz angelegt, sondern auf Kooperation. Wir haben diese Spiegelneuronen im Gehirn, die uns dazu bringen, andere Menschen zu beobachten und nachzuahmen. Wenn uns das dann gelingt, schüttet das Gehirn Glückshormone aus. Wohlgemerkt: Wenn wir das NACHAHMEN schaffen, nicht besser sind, als der, den wir nachgeahmt haben. Das Belohnungssystem im Gehirn reagiert also auf das Lernen des Neuen an sich, nicht, ob wir dabei besonders gut waren. Deshalb ist es für Wölkchen eigentlich ein Segen, eine etwas ältere Schwester zu haben. Denn sie hat immer jemanden, den sie beobachten und nachahmen kann und lernt so die wichtigen Dinge des Lebens viel schneller und einfacher, als Wirbelwind. Denn weißt du, was das Besondere an unserem Gehirn ist? Wenn wir jemanden beobachten, der minimal über unserem Kompetenzniveau ist (wie Wirbelwind für Wölkchen), dann bilden sich schon während des Beobachtens die Nervenbahnen, die normalerweise erst wachsen, wenn wir diese Tätigkeit ausführen. Wenn also Wölkchen Wirbelwind beim Fahrradfahren zugeschaut hat, hat sie schon Nervenbahnen entwickelt, die sie eigentlich erst durchs eigene Radfahren entwickeln würde. Und wenn sie dann selbst aufs Rad steigt, fällt es ihr leichter, weil sie die entsprechenden Nervenverbindungen schon hat.
Wenn man den Blickpunkt mal umdrehen möchte, dann könnte man sogar sagen: Arme Wirbelwind! Immer muss sie alle Pfade selbst neu beschreiten. Sie hat zwar erwachsene Vorbilder, aber keine minimal älteren Kinder, an denen sie ablesen kann, welchen Entwicklungsschritt sie als nächstes meistern könnte…
Dieses Konkurenzdenken a la ‚Sie ist immer viel besser als ich.‘ haben Kinder erst einmal nicht. Nicht von Natur aus. Angeboren ist uns der Wunsch, uns weiterzuentwickeln, nicht der Wunsch, andere zu überflügeln. Aber unsere Gesellschaft heute ist komplett auf Konkurrenz ausgerichtet und das sehen Kinder schnell. Diese Spiegelneuronen, von denen ich schon sprach, nehmen also auch Konkurrenz auf und veranlassen den Menschen, das Verhalten nachzuahmen. Es gibt Untersuchungen mit Babys, in denen nachgewiesen wurde, dass mit 6 Monaten alle von ihnen kooperatives Verhalten guthießen und selbst zeigten, mit 12 Monaten zeigte jedoch die Hälfte dieser selben Babys plötzlich Konkurrenzverhalten. Das liegt daran, dass diese Babys in ihrer Umwelt gesehen hatten, dass Konkurrenz von den Erwachsenen unterstützt oder selbst vorgelebt wurde. (Zb wenn sie ‚Wer zieht sich am schnellsten die Schuhe an, du oder ich?‘ zu älteren Geschwistern sagten) Da fast alle Erwachsenen in unserer Gesellschaft Konkurrenzdenken zeigen, ist es also ziemlich schwer, den natürlichen Trieb der Kinder nach Kooperation aufrecht zu erhalten. In anderen Gesellschaften ist das ungleich leichter.
Soweit zu dem. Nun schreibst du, Wölkchen ärgert sich darüber, immer ewige Zweite zu sein. Wenn ich das richtig im Blick habe, ist sie jetzt 3-3,5 Jahre alt. In diesem Alter gibt es einen Entwicklungsschritt, in welchem die Kinder lernen, natürliche Grenzen und Bedürfnisse von anderen akzeptieren zu lernen (darüber habe ich einen ganzen Artikel geschrieben). In dieser Zeit können es die Kinder oft überhaupt nicht aushalten, wenn sie nicht Erste(r) werden. Sie wollen als Erster die Tür aufmachen, wenn es klingelt, als Erster das Licht anmachen, wenn sie nach Hause kommen, als Erster kuscheln etc. Wenn das nicht klappt, gibt es einen riesigen, laganhaltenden Wutanfall. Mehrmals am Tag. Wochenlang. Bis der Entwicklungsschritt geschafft ist. Das Ding ist, dass es ihnen (und ihrem Gehirn) nicht wirklich um das Erster sein geht. Es geht darum, natürliche Grenzen verschieben zu wollen. Wenn es zb klingelt, und Mama macht die Tür auf, weil sie gerade da steht und das Kind bricht wütend zusammen, weil es selbst die Tür aufmachen will, dann hilft es nicht, die Tür nochmal zu zu machen, damit das Kind die Tür öffnen kann. Das will das Kind meist gar nicht. Es wollte als Erster die Tür aufmachen, aber diese Chance ist ja nun unweigerlich vorbei. Es will aber gern die Zeit zurückdrehen, um doch noch als Erster aufmachen zu können. Diese verstrichene, nie wiederkommende Chance, in genau dieser Situation als Erster die Tür aufgemacht zu haben, ist eine natürliche Grenze. Das Gehirn muss lernen, den Frust darüber auszuhalten (weil es immer im Leben solche Situationen geben wird). Und von der Natur eingerichtet ist es eben, dass Kinder das mit etwa 3,5 lernen. Wie bei Wölkchen gerade.
Ich denke also, bei euch vermischt sich da gerade ein bisschen etwas: Du beobachtest, dass sie alles nicht so gut kann, wie ihre Schwester und schlussfolgerst vieleicht, dass ihre kleinen Wutanfälle daher stammen (obwohl eigentlich der natürliche Entwicklungsschritt der Grund ist). Das stimmt dich offenabr traurig, denn du kannst für sie ja nicht die Geburtenreihenfolge ändern. Sie wird immer die Zweitgeborene sein. Weil du in ihr Verhalten hineininterpretierst, dass sie das ewige Zweite sein frustriert, versuchst du sie in dieser Hinsicht zu trösten. Dass sie doch die Dinge auch schon gut kann und eben noch kleiner ist und es später, wenn sie größer ist, es dann ebenso gut kann, wie Wirbelwind. Das wiederum nehmen die Spiegelneuronen ihres Gehirns auf. Sie merkt vielleicht, dass es offenbar schlecht ist, weniger gut als die Schwester zu sein, sie lernt davon, dass man sich in unserer Gesellschaft offenbar mit der Schwester messen muss und danach streben muss, sie zu übertrumpfen. Sie wird ihr Verhalten also -möglicherweise – in diese Richtung modifizieren. Es könnte also sein, dass ihr bald wirklich so ein Konkurrenzproblem habt. Ich glaube aber, im Moment ist es noch keins. Ich glaube wirklich, dass sie gerade diesen wichtigen Entwicklungsschritt durchmacht, und ihr wütendes Verhalten darin begründet ist.
Wie man damit umgeht habe ich in meinem Artikel geschrieben, aber hier noch kurz: Die Wut empathisch begleiten ist immer gut. Aber tröste nicht in die falsche Richtung (Konkurrenz), sondern tröste in Richtung Aushalten von natürlichen Grenzen. Und für dich als Trost: Es ist nur eine Phase! Wenn ihr Gehirn den Entwicklungsschritt gelernt hat, wird es wieder ruhiger.
Liebe Grüße, Snowqueen
verflixteralltag
Es war, wie immer, erhellend, von Dir zu hören! :-* Vielen Dank für den ausführlichen Kommentar und die Erläuterung dazu, was Du schon auf Twitter angedeutet hast! Jetzt verstehe ich es besser und werde versuchen entsprechend zu reagieren, wenn die Situation noch einmal auftritt.
Ganz liebe Grüße, Wiebke
Iris Flavia
Mein Bruder ist 5 1/2 Jahre jünger als ich.
Er wird sich auch so gefühlt haben.
Er war ca 15 da fing er an, mich „Schwesterchen“ zu nennen (und ich ihn ergo „Brüderchen“ – niemand wurde ausgesetzt).
Wir haben zusammen renoviert und viele, viele Dinge gemeinsam gemeistert und er war irgendwie mein „großer Bruder“, der, den ich immer wollte.
Es wird sich relativieren (hilft jetzt natürlich nix).
Seine Töchter sind 4 Jahre auseinander und die Kleine setzt sich durch.
Ein kleiner SChubs und es klappt (besser)?
Martina
Ich bin gerade zufällig auf deinen Blog gestoßen. Meine sind auch 3,5 Jahre auseinander (5 und gerade 9) und der Große liebt es, wenn seine kleine Schwester weint, weil sie nicht schnell genug ist.
Ich erkläre ihr das immer so, dass ich sage, dass er nunmal älter ist und das ganz normal ist, Papa ist ja auch schneller als wir alle,
aber dass sie jetzt schon viel schneller ist, als er mit 5 war, schon besser schreiben und lesen kann als ihr großer Bruder mit 5 und dass sie doch schon mit 3 Fahrrad fahren konnte und ihr Bruder erst mit 4 und somit mit 9 bestimmt schneller fahren kann als ihr Bruder jetzt.
Das stärkt ihr Selbstbewusstsein dann gleich um 300% 😉
Buggy Liebhaber
Hallo :),
Im Prinzip ist muss man dem zweiten Kind klar machen, dass Sie einfach nur mehr Zeit hat die Dinge zu lernen die ihre große Schwester schon kann. Wenn sie sich im gleichen Alter befindet, kann sie es auch so gut wie ihre Schwester. Auch bei unseren ist es immer schwer zu erklären, warum unser Kleiner Dinge noch nicht so gut kann wie seine große Schwester. Dennoch denke ich gehört das zu einer gesunden Lebenserfahrung die dazu gehört.
Man sollte also dem Kind immer positiv zu reden und seine eigenen Erfahrungen machen lassen.
Beste Grüße,
Paddi 🙂