Geräusche

„Aber wenn ich etwas höre, Monster oder Krokodiile, dann komme ich zu Euch rüber!“
Wirbelwind liegt in ihrem Bett, die Decke bis zum Kinn hochgezogen und ihren Schmusehasen fest im Griff. Das Nachlicht scheint auf ihr zartes Köpfchen. Sie sieht nicht verängstigt aus, Geräusche beschäftigen sie dennoch ständig. Ich bestätigte ihr, dass sie jederzeit rüber kommen kann, oder einfach rufen und wir kommen zu ihr. Aber der Hase und der „Wusel“ (das Nachtlicht) passen ja auf sie auf, versichere ich noch tröstend. 

Wenn die Phantasie mit dem Kind durchgeht

Wirbelwind ist nun fast drei Jahre alt. Es ist eine Zeit, in der sie eine herrliche Phantasie an den Tag legt. Sie spielt Picknick mit ihren Büchern, Sonnenbrillen und Kuscheltieren. Sie spielt „Köchinin“ und kredenzt mir heiße Schokolade aus Murmeln und Kuchen aus Salatblättern. Sie spielt „Der böse Wolf kommt“ und versteckt sich in den entlegendsten Winkeln der Wohnung. Sie verarztet ihre Kuscheltiere… Die Phantasie sprüht nur so über und ich staune jedes Mal nicht schlecht, was sich ihr kleines Köpfchen so alles ausdenkt. 
Doch genau diese Phantasie ist es, die sie eben vor fremden Geräuschen ängstlich werden lässt. Seien es Fußtritte über uns oder Küchengeräusche aus dem Nachbarhaus. Wenn wir dabei sind, fragt sie „Was ist das?“ oder „Warst du das?“. Doch im Bett, so übermüdet und ganz alleine weint sie schnell mal los, weil sie sich fürchtet. So unerklärlich, auch wenn ich noch so viel erkläre. Es braucht Zeit diese Geräusche zu verstehen und einzusortieren.

Geräuschgeschichte

Gerade in diesem Alter, wo Geräusche so sehr analysiert werden, sind Bohrgeräusche aus der Wohnung über uns umso prägender. Vergangene Woche hatte ich schon berichtet, wie sie auf die Baumaßnahmen reagierte. Für alle, die es nicht gelesen haben, sei kurz erwähnt: sie war maßlos überfordert. Auch andere Geräusche, die sie selten hört, machen ihr angst. Dann reicht es, wenn ein großer LKW auf der Straße vorbeifährt. Sofort hält sie sich ihre Hand vor den geöffneten Mund, Wirbelwinds Zeichen für Angst.
Doch diese Sensibilität für Geräusche ist nicht neu. Ein kleiner Rückblick auf Wirbelwinds letzten drei Jahre zeigen immer wieder, dass sie auf Geräusche sehr feinfühlig reagierte. Es fing bereits im Bauch an. Sie konnte zuvor noch so munter in meinem Bauch herumturnen, sobald das CTG angeschlossen war, war sie mucksmäuschenstill. Sie schien diesem seltsamen, ungewohnten, aber rhythmischen Klang zu lauschen. Auf der Welt ließ sie sich insbesondere beim Stillen sehr schnell ablenken. Stillen in der Öffentlichkeit war nicht denkbar. Es brauchte nur einen scheinbar unwesentlichen Laut und sie dreht den Kopf von der Brust weg, hin zur Geräuschquelle. Später war es dann der Krankenwagen, Fön oder Staubsauger, der sie zum Heulen brachte. An diese Geräusche hat sie sich inzwischen gewöhnt. Doch auch heute merke ich noch, dass sie sehr schnell „reizüberflutet“ ist, wenn es ein sehr aufregender Tag war, mit vielen neuen Eindrücken, nicht nur akustisch, sondern auch visuell. 

Geräusche lernen zu verstehen

Dafür hat sie inzwischen einen sehr tiefen, festen Schlaf, in welchem sie all diese Eindrücke ganz gut zu verarbeiten scheint. Und so gehören inzwischen Geräusche zu ihrem Leben, denen sie fröhlich und neugierig gegenübertritt. Anfänglicher Skepsis weicht die Erkenntnis, dass sich hinter jedem Geräusch etwas spannendes verbergen kann. Das „Tatü tata“ wird freudig mit einem „Oh, ein Krankenwagen“ kommentiert, bei Flugzeuggeräuschen wird „ein Hubschrauber“ gerufen und interessiert in den Himmel gestarrt. Auch dem Gesang meines Chores lauscht sie gespannt. Wenn das Toastbrot im Toaster hochschnipst, weiß sie, dass das Brot fertig ist. Wenn die Tüte knistert, sucht sie sofort nach den Gummibärchen. Wenn der Papa morgens die Wohnung verlässt und die Tür zuschnappt, ruft sie „Tschüss Papa“ aus ihrem Bettchen. Und die Hörspiel-CD darf auch nicht mehr fehlen. Kaum sitzen wir im Auto, wird nach Leo Lausemaus verlangt und gespannt gelauscht.
Geräusche sind ein wichtiger Teil unseres Lebens. Den einen fällt es leichter, den anderen schwerer sie zu erkennen, zu verarbeiten oder zu verstehen. Doch eines ist klar: ohne Geräusche wäre das Leben langweilig. Das hat auch Wirbelwind erkannt. Und etwas Skepsis vor Unbekanntem oder besonders Lautem sei jedem Kind (und Erwachsenen) gegönnt!
Eure Wiebke
Und übrigens: Dass man auch tolle Geräusche selber produzieren kann, hat Wirbelwind schon längst begriffen 😉 Aber das ist eine ganze andere Geschichte.

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