Verletzlichkeit

Bild: pixabay.com
Ich merke, dass ich seit einigen Tagen schwermütig geworden bin. Nicht immer. Aber in manchen Momenten plötzlich bin ich traurig, so ohne richtigen Grund. Denn Wölkchen und Wirbelwind geben mir derzeit nicht so viel Anlass dazu, außer dem üblichen täglichen Wahnsinn. Wirbelwind war heute zwar recht quengelig, dafür ist Wölkchen derzeit recht pflegeleicht (dass ich das mal noch sagen würde!). 
Als ich heute wieder grübelnd auf dem Spielplatz saß, überlegte ich, woran das liegen könnte. Der folgende Beitrag ist daraufhin entstanden.

Als Kind war mein Leben unbeschwert. Ich ging zur Schule, spielte mit meinen Freunden am Nachmittag, ging zum Chor und Volleyball. Ich hatte eine behütete und unspektakuläre Kindheit. Ich musste für Niemanden Sorge tragen, nur für mich selbst. 
Ich wurde älter, schaffte das Abi, fing an zu studieren und legte auch hier irgendwann meine Magisterprüfung ab, immer unterstützt durch meine Mutter. Sie passte auf mich auf, auch wenn es da nicht viel zu beschützen gab.
Nach unzähligen Praktika ergatterte ich doch einen „richtigen“ Job. Das erste Mal trug ich nicht nur für mich Sorge, ich entschied auch über Freud und Leid anderer Menschen. Mehr aber auch nicht. 
Und nun bin ich Mutter. Mutter von zwei Kindern. Zwei Lebenwesen. Zwei atmenden Geschöpfen. Zwei liebenswerten Personen. Und mit meiner Mutterschaft war sie plötzlich da, das Gefühl von Verantwortung für erst ein und nun zwei Leben. Verantwortung für diese zarten, unschuldigen Kinder, die selber (zum Glück) nicht wissen, was es heißt wirklich verletzt, krank und verwundet zu sein. Zwei Kinder, die mir in ihrer Naivität bedingungslos vertrauen, ihr Leben in meine Hände geben. Ich wünsche mir für sie eine so behütete Kindheit, wie ich es hatte, in welcher ich ihnen dieses Vertrauen über die Kindheit hinaus erhalten und bestärken kann. Vertrauen in sich selbst und die Menschheit. Doch wird es mir gelingen?
Bereits nach der Geburt von Wirbelwind lieg das Kopfkino auf Hochbetrieb. Ist mein Baby auch gesund? Werde ich es auch nicht fallen lassen? Wird es auch von keinem anderen verletzt werden? Werde ich es heil großziehen können? 
Genau diese Gedanken schwirren nun wieder durch meinen Kopf. Immer wieder betrachte ich Wölkchen und bin dankbar für dieses gesunde Geschöpf. Gleichzeitig schwelt als bitterer Beigeschmack immer die Angst mit, ob dies auch so bleiben wird. Und diesmal ist es anders, als damals bei Wirbelwind. Die Unbeschwertheit ist einem beklemmenden Gefühl gewichen, geschürt durch Erfahrungen aus meinem Umfeld. Die eine Freundin, deren zweites Kind einen Gendefekt und entsprechende Beeinträchtigungen besitzt, die andere Bekannte, deren Baby (ebenfalls das zweite Kind) nun einen Hirntumor hat. Man hört dies immer mal wieder. Man hört, dass andere Kinder oder eben sogar Babys von solchen Schicksalen betroffen sind. Irgendwo. Ganz weit weg. Quasi gar nicht fassbar. Und dann stehen da diese jungen, starken Mütter vor dir und bringen dich mit einem kräftigen Schlag ins Gesicht in die Realität zurück. Es kann dich jederzeit treffen. Es kann dein Baby jederzeit treffen. 
Und obwohl ich weiß, dass es nichts bringt diese Gedanken zu haben, sondern man im Hier und Jetzt bleiben und sich des Lebens freuen sollte, denke ich darüber nach. Und ich merke, wie mein Herz schwer wird, von der Verantwortung und Liebe, die mir in solchen Momenten besonders bewusst wird. Denn diese Liebe zu meinen Kindern ist es ja, die mich selbst verletztlich macht. Verletzt man meine Kinder, verletzt man auch mich. Wie ein unsichtbares Band sind wir miteinander verbunden. Ein Band, das das gesamte Leben über bleiben wird, mal mehr, mal weniger stark. Die
Verantwortung für zwei Leben ist heftig. Viel heftiger, als ich beim
Blick auf den positiven Schwangerschaftstest gedacht hätte.
Wird das jemals aufhören? Werde ich am Ende der Pupertät der Kinder sagen: Jetzt haben sie das Gröbste geschafft, jetzt kannst Du loslassen? Jetzt kannst Du die Kinder sich selber überlassen? Oder schon viel eher, oder nie?
Eure Wiebke

4 Comments

  1. 9 August 2015 at 8:10 pm

    Wenn ich mir meine Mutter so ansehe, wird es nie richtig aufhören ♡
    Es ist nur eine Frage der Umstände, wie man darüber denkt. Ich selbst hatte bei jeder Schwangerschaft mehr Angst, dass etwas nicht gut laufen könnte. Und dann bekommt man immer öfter solche Schicksale mit – die Einschläge kommen näher. Aber es ist auch das Alter, die Lebenserfahrung und die Masse an Leuten, die man kennen gelernt hat. Früher war es auch um uns herum, aber wir haben es einfach nicht so mitbekommen.
    Mir macht es den Umgang damit nicht einfacher, aber ich versuche es als das zu akzeptieren was es ist: das Leben.
    Wir geben unseren Kindern jeden Tag etwas mit auf ihren Weg – was darüber hinaus passiert, liegt oftmals nicht in unserer Macht.
    Zum Glück hält mich das Leben aber auch oft davon ab, mir zu viele Gedanken zu machen

  2. 9 August 2015 at 8:13 pm

    Es stimmt. Das Leben selbst lenkt ab, zum Glück.

  3. 12 August 2015 at 6:21 pm

    Es ist wirklich heftig, wie zerbrechlich sich das Glück anfühlen kann, wenn man Kinder hat… Mir geht es da auch häufig ähnlich wie dir… Aber wir können dankbar sein für alles Gute, das wir mit unserer Familie erleben dürfen…

    • 12 August 2015 at 7:37 pm

      Ja das stimm. Die Dankbarkeit über die Momente, die ich mit den Kindern verbringen darf, ist enorm und überwiegt eindeutig 🙂

Ich freue mich über einen Kommentar

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