Momente der Schwäche

Momente der Schwäche

Ich sitze am Tisch und esse Nudeln. Als würde ich über meinem Körper schweben betrachte ich mich selber dabei, wie ich mir die trockenen und inzwischen kalten Dinger in den Mund zwänge und dabei grimmig drein schaue. Aus dem Nebenraum ist Wölkchen zu hören, wie sie anklagend weint. Und weint. Und weint. Zwei-, dreimal führe ich die Gabel noch zum Mund, ehe ich innehalte. Wölkchen erscheint in der Tür. Augen, Nase und Mund sind verquollen und verrotzt. Der Mund ist zum Heulen geöffnet, gerade so weit, dass der Nuckel nicht herunterfällt.

Rückblick

Wölkchen ist krank. Am Dienstag habe ich sie aus der Kita mit erhöhter Temperatur abgeholt. Sie war bereits erkältet und ihre Augen tränten. Sie zeigte zudem Schluckbeschwerden. Am Mittwoch schien es zunächst besser, zumindest bis sie am Nachmittag wieder erhöhte Temperatur bekam. Ich tippte auf Adenovirus, das verriet mir zumindest Dr. Google.

Sie wurde sehr anhänglich und apathisch. Selbst als Papa mit Wirbelwind nach Hause kam, reagierte sie nicht. Abends maßen wir dann ihre Temperatur und konnten nicht glauben, was da auf dem kleinen Thermometer stand: 40,8 Grad. Ein Zäpfchen musste sie über sich ergehen lassen ehe wir sie ins Bett steckten. Sie schlief sofort ein. Doch nach einer Stunde war die Erholung schon wieder vorbei. Sie wachte auf und forderte unsere Nähe. Ich gab sie ihr. Zusammen kuschelten wir uns ins Bett. Alle zwanzig Minuten schrie sie auf und ich beruhigte sie. Sie schlief auf mir, wie damals zu Babyzeiten. Ich gab ihr gerne die Nähe, die sie brauchte. Mein armes krankes Mädchen. Auch nachts maßen wir 39,9 Grad und schoben ein zweites Zäpfchen nach. Der Schlaf blieb weiter unruhig. Immer wieder schrie sie auf und musste von mir beruhigt werden.

Entsprechend gerädert war ich am Donnerstag. Zumindest schien die Temperatur zu sinken und Wölkchen lachte sogar ihre große Schwester an. Ihre Laune war dennoch gereizt. Der Kinderarzt bescheinigte uns zudem eine Mittelohrentzündung. Das erklärte vielleicht auch die Schluckbeschwerden. Und so hing sie jammernd auch den gesamten Tag über an mir. Ich musste sie immer tragen, egal was wir machten. Selbst auf die Toilette nahm ich sie mit, auf mir sitzend. Ich fühlte mich an die ersten Zeiten nach Wölkchens Geburt zurückerinnert. Diese Fremdbestimmung. Doch dieses Mal war es anders. Ich wusste, dass es ihr nicht gut ging und die Zeit absehbar war. Morgen würde es ihr sicherlich schon wieder besser gehen und ich damit auch durchatmen können. Und schlafen. Ich war ruhig und gelassen.

Doch abends merkte ich dann, wie die letzten Tage an meinen Kräften zehrten. Wie sehr mich diese Fremdbestimmung geschlaucht hat. Als sich der Papa mit dem Wölkchen auf das Sofa kuschelte und er nach mir rief, reagierte ich sofort gereizt. „Ich hatte doch auch den ganzen Tag mit Wölkchen verbracht, ohne dass mir jemand etwas bringen konnte. Jetzt soll er gefälligst auch mal ohne mich klar kommen“, waren meine Gedanken. Die Last der letzten Tage prasselte auf mich ein.

Enttäuschte Hoffnung

Und dann kam der heutige Tag. Wölkchen war besser drauf, aber noch nicht wieder fit. Ich schöpfte dennoch Hoffnung, dass der Tag besser werden würde. Doch sie aß schlecht und jammerte auch so viel herum.

Ich kochte Nudeln und servierte sie dem hungrigen Wölkchen. Sie aß, während ich noch die restliche Wäsche aufhing. Doch dann schrie sie plötzlich los, weil sie sich entweder verbrannt oder gebissen hatte. Ich fand es nicht heraus. Ehe ich meine Nudeln essen konnte, war ich bereits wieder mit Wölkchen auf dem Sofa, kuschelte und versuchte sie zu trösten.

Wölkchen wurde ruhiger und schloss fast die Augen. Ich beschloss daher, mich mit ihr ins Bett zu legen. Doch plötzlich fing sie an zu brüllen. Für mich war nicht ersichtlich, was der Grund dafür war, außer ihre immense Müdigkeit. Oder war es die fehlende Routine des Kindergartens? Was auch immer sie störte, sie konnte es mir nicht mitteilen. Ich legte mich dennoch mit ihr hin, doch sie weinte und brüllte, japste und jammerte. Ich gab auf und verließ wütend das Schlafzimmer.

Und da saß ich nun und aß meine kalten Nudeln. Trotzig angesichts der Tatsache, dass Wölkchen meine Hingabe mit Gebrüll honorierte. Da opfere ich mich drei Tage lang für sie auf, und ernte dennoch Geschrei. Ich verstand es nicht. Es war wie früher. Ich fühlte mich missverstanden und hilflos.

Schuldgefühle

Und dann kam sie wieder über mich, diese Schuld. Was war ich für eine Mutter, die ihr Kind weinend im Schlafzimmer zurück ließ? Kein Wunder, dass Wölkchen so aufgelöst war. Sie erkannte ihre eigene Mutter nicht mehr wieder. So wütend, so verständnislos, so kalt. Ich drückte mein Wölkchen und wir schauten uns ein Buch an. Sie beruhigte sich. Doch die Müdigkeit blieb. Sie musste schlafen. Kurz überlegte ich, ob ich sie einfach ins Auto packte. Doch das wäre für mich nicht befriedigend. Also nahm ich sie erneut mit und ging ins Schlafzimmer. Sie weinte augenblicklich los. Ich drückte sie und erklärte ihr, dass es wichtig sei, dass sie etwas schläft. Sie weinte und japste weiter, zeigte auf die Tür und weinte erneut. Ich fragte sie, ob sie ein „Aua“ hätte, sie verneinte. Irgendwann wurden die Schluchzer weniger und sie ruhiger. Dann verstummte sie ganz. Auf mir sitzend schloss sie die Augen. Ich drückte sie an mich und sie schlief ein. Eng an mich gekuschelt. So hielt ich eine Weile inne. Dann legte ich sie vorsichtig ab und vergrub mein Gesicht in ihren Rücken. Ich lauschte ihren rasselnden Atemzügen und spürte die Wärme, die sie verströmte. Mit schwerem Herzen sog ich ihre Nähe ein, so wie Wölkchen es die letzten drei Tage bei mir getan hatte. Doch sie hatte sich nichts vorzuwerfen. In mir indes wanderten meine Gedanken zu den letzten Minuten zurück und ich fragte mich nur eins: würde mir mein Wölkchen verzeihen?

Eure Wiebke

3 Comments

  1. 3 Februar 2017 at 8:14 pm

    Hallo Wiebke,

    Auch Mamas brauchen manchmal eine kurze Verschnaufpause.
    In den zwei Minuten mit den kalten Nudeln könntest du so viel Kraft zusammensammeln, dass du danach wieder voll und ganz für Wölkchen da warst.

    Mach dir keine Vorwürfe.

    Viele Grüße
    Mama Maus

    • 3 Februar 2017 at 9:09 pm

      Meine liebe Mama Maus,
      Ja das stimmt, ich brauche auch mal eine Verschnaufspause. Und vielleicht war die Nudelzeit wirklich die Zeit, die ich brauchte, um über das Geschehene nachzudenken.
      Das heulende, verrotzte Wölkchen geht mir dennoch nicht aus dem Kopf.
      LG Wiebke

  2. Meta
    Antworten
    4 Februar 2017 at 10:29 am

    Aber weißt du, Wölkchen wußte, wo du bist und ist zu dir gekommen und du hast sie lieb empfangen. Das ist wichtig. Sie ist mobil, sie liegt nicht hilflos auf dem Bettchen – wie als Säugling und muss „hoffen“, dass du wieder kommst. Sie kann sich auf machen – auf dem Weg zu dir und dass sie hat erfolgreich getan! Du bist eine ganz liebe Mama! Und schwache Momente gehören dazu – zu jeder Mama! Wölkchen hat dir schon längst verziehen!!

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