Von Zuckertüten und emotionalen Veränderungen

Gefühle beim Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule

Wirbelwind weint. Kleine Tränen kullern über ihre inzwischen 10 Jahre alten Wangen. Ich singe „the greatest love“ von Whitney Houston und kraule ihr den Rücken. Das hat sie sich gewünscht. Denn so habe ich es früher auch gemacht. Damals. Als sie noch in den Kindergarten ging. Vielleicht auch noch in der Grundschule. Doch jetzt ist sie „eine Große“, geht seit einer Woche in die Oberschule. Und nun hat sie sich gewünscht, nochmal klein zu sein. Sich zu fühlen wie früher. Mit feuchten Augen.

Eine neue Schule

Mein Wirbelwind. Ich gebe zu, ich habe mir viele Gedanken gemacht: ob wir sie auf die richtige Schule geschickt haben, bei der der Anfahrtsweg zwar lang, aber das Konzept vielversprechend ist. Ob ihre neuen Klassenkamerad*innen nett sind, ob sie wieder so eine tolle beste Freundin findet, die ihr Halt gibt in der anfangs fremden Umgebung.

Bereits bei der Zuckertütenübergabe (das wird an der Schule auch für Fünftklässler veranstaltet) nach dem ersten Schultag, kommt sie mir strahlend entgegen: die Mitschüler sind toll, die Lehrerin ist toll, das Essen ist toll, die Schule ist toll, und angefreundet hat sie sich auch bereits mit einem anderen Kind. Ich glaube den Stein, der von meinem Herzen gefallen ist, hat man bis zu uns nach Hause plumpsen hören, auch wenn das ein ganzes Stück von der Schule weg ist. Am Abend tanzt sie im Wohnzimmer und ruft: „Ist es seltsam, wenn ich sage, dass ich mich morgen auf die Schule freue?“

Und trotzdem liegt sie nun in meinen Armen und weint.

Gefühle sortieren

Wirbelwind war schon immer ein Kind, dass bis auf Freude oder (seit Neustem Genervtsein) seine Gefühle wenig geäußert hat. Aber nicht, weil sie keine Emotionen fühlt, sondern sie eher davon übermannt wird und sie daher nicht richtig greifen kann. Erst nach ein paar Jahren haben wir gemerkt, wie sensibel sie ist, weil sie nach außen immer so gefasst wirkt. Auch diesmal zeigte sie uns vor dem Schulwechsel kaum Emotionen. Vielleicht überlagerten sich Neugierde, Vorfreude und Angst dermaßen, dass sie zu einem unterschwelligen Rauschen wurden. Nicht greifbar. Nicht aussprechbar.

Dann am ersten Schultag schaute die Erleichterung aus dem Rauschen heraus. Ihre Euphorie stach so hoch, wie die Angst in ihr tief war.

Und mit dem Lied und dem Rückenkraulen habe ich nun Wehmut geweckt, die vielleicht aus der Angst vor dem Neuen wuchs. Eine Seltenheit, diese Tränen an Wirbelwinds Augen. Sie zeigen mir deutlich, wie sehr sie die aktuelle Situation – trotz aller Euphorie – bewegt.

Transition – große Veränderungen

Ein Gefühlschaos, das ganz typisch ist für den Übergang. In der Pädagogik spricht man von Transition, in diesem Fall ist damit der Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule gemeint. Veränderungen wecken Erwartungen. Und je nachdem, ob man diesen Erwartungen neugierig oder ängstlich gegenübertritt, erlebt man den Übergang sehr unterschiedlich.

Die neue Schule hat alles getan, um Wirbelwind gut aufzunehmen und eine „Wohlfühlatmosphäre“ zu schaffen. Sie freut sich, dass sie nun sehr viel mehr Freiräume hat: sie darf mitten im Unterricht aufstehen und sich Tee nehmen. Sie darf an die Schränke und sich Material, das sie braucht, herausnehmen. An einem Tag hat die neue Lehrerin den Kindern sogar den Rücken massiert (sie hätte aber wohl betont, dass das eine einmalige Sache war ;-)). Das alles sind Freiheiten, die sie aus der Grundschule so nicht kennt.

Immer, wenn Wirbelwind von der neuen Schule erzählt, hat sie ein Lächeln im Gesicht. Ich bin mir sicher, dass sie ihren Weg gehen wird. Dass sie gut ankommen wird in der neuen Umgebung und dass es auch von uns die richtige Entscheidung war, sie dort anzumelden. Es fühlt sich richtig an.

Und bis dieses „richtig anfühlen“ im Herzen angekommen ist, kraule ich meinem Wirbelwind einfach noch ein wenig den Rücken und singe für sie alle Lieder dieser Welt.

Eure Wiebke

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