Ich weiß gerade nicht, ob ich weinen oder lachen soll. Freude und ein Hauch Erleichterung ist überdeckt mit dicker Schminke der Angst, des Frustes und der Fassungslosigkeit.
Es ist entschieden: die Schulen werden öffnen
Heute wurde in Sachsen die Information verbreitet (also offiziell mit Schulleiterbrief), dass die Grundschulen und Kitas ab dem 18. Mai wieder öffnen werden. Soweit so gut. Wir Lehrerinnen und Lehrer haben uns schon seit geraumer Zeit Gedanken gemacht, wie wir die Kinder mit dem nötigen Abstand in der Schule unterbringen. Weder Räume noch Lehrkräfte sind ausreichend da, um Klassen teilen zu können. Von Schichten war die Rede, in denen die Kinder in der Schule unterrichtet und im Homeschooling weiter ihr Dasein fristen sollten. Aber es kam ganz anders. Im Brief stand in fetten Buchstaben, dass eine Klassenteilung nicht stattfinden wird. Die Kinder werden in ihrer Klasse komplett unterrichtet, ohne Abstandsregelungen. Nur zu den anderen Klassen sollen sie getrennt betreut werden, damit mögliche Infektionsketten später nachvollziehbar wären. Uff.
Extreme Maßnahmen
Fand ich in der Anfangsphase der Corona-Ausgangsbeschränkungen die Maßnahmen deutlich zu krass einschränkend, dreht sich diese Einschätzung jetzt um das genaue Gegenteil: mein Bauch schreit „was soll die Scheiße? Wie kann man die Schulen komplett öffnen. Wie kann man nun so eine krasse Kehrtwende machen von „Kinder sind als Überträger ein immenses Risiko für die Gesundheit aller, wir müssen alles und jeden separieren“ hin zu „alles halb so schlimm“?!
Schwankende Forschungslage
Klar, die Forschungslage hat sich geändert. Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass Kinder tatsächlich ein geringeres Risiko spielen, als bisher angenommen. Dabei haben Wissenschaftler Ende April noch ganz andere Ansichten vertreten. Aber auch diese Erkenntnisse können sich jederzeit wieder ändern. Sie fußen auf geringen Fallzahlen und sind immer vorläufig. Gerade aktuell, wo scheinbar sichere „Wahrheiten“ so schnell wieder umgestoßen werden.
maßlose Maßnahmen?
Zuerst werden wir so heftig in unserer Freiheit eingeschränkt, zu Gunsten eines stabilen Gesundheitssystems. Verständlich, aber irgendwie schwang in mir immer eine kleine Stimme mit, die meinte, die Maßnahmen seien sehr hart. Und nun wird innerhalb kürzester Zeit erst die Wirtschaft und dann das Schul- und Betreuungssystem hochgefahren, dass einem schwindelig wird. Es wirkt (auf mich) maßlos. Damals zum Beginn genauso wie jetzt.
Und soll ich Euch etwas sagen? Ich fühle mich verarscht. Sicher, die stabile Lage, die wir aktuell in vielen Teilen von Deutschland haben, ist auch gerade Ergebnis dieser strikten Maßnahmen zu Beginn. Das ist mir bewusst. Aber es ist gerade mal zwei Tage her, dass die vierten Klassen wieder in den Grundschulen sind. Wie sich dieser Schritt auf die Infektionszahlen auswirkt, kann aktuell noch gar nicht abgesehen werden. Und dennoch wird bereits entschieden, wie es in etwas mehr als einer Woche weiter gehen wird. Die Zaghaftigkeit, mit der in der Vergangenheit Entscheidungen zu Lockerungen getroffen wurden, weichen nun einer Zuversicht, die mich alarmieren lässt.
Aktueller Unterricht bei den Viertklässlern
Aktuell werden die vierten Klassen unter höchsten Sicherheitsstandards unterrichtet und betreut. In unserer Schule läuft es wie folgt: Jedes Kind (und Lehrkraft) besitzt eine Maske, die es auf dem Gang und im Gespräch zu tragen hat. Wenn es auf seinem Platz sitzt, muss es diese nicht tragen. Klassen wurden halbiert oder aufgeteilt, so dass jedes Kind eine eigene Bank hat. Es wurde darauf geachtet, dass die Kinder sich ab sofort nicht mehr in der Garderobe umziehen, sondern nur an ihrem Platz (der Stuhl nebenan war ja nun frei). Es wurde berücksichtigt, dass Kinder in der Betreuung in der gleichen Gruppe bleiben, wie auch im Unterricht, was bedeutet, dass bei uns eine Lehrerin eineinhalb Stunden vor Unterrichtsbeginn in der Schule antanzt, damit sie EIN Kind der vierten Klasse betreut, weil es nicht in die Frühgruppe der Notbetreuung darf.
Wow. So viel Aufwand, damit in einer Woche alles über den Haufen geworfen und mit Füßen getreten wird. So viel Gewurschtel für Eltern und Schule, alles so zu organisieren, dass es funktioniert. Und dann werden diese Maßnahmen ad absurdum geführt, indem sie bedeutungslos werden. Einfach so.
Gleichzeitig bleiben privat immer noch so viele Dinge auf der Strecke. Freunde treffen wir nur spärlich und mit Abstand. Verwandte haben wir seit einer halben Ewigkeit nicht besucht. Aktuelle darf sich nur eine weitere Person mit einem Haushalt treffen. Eine. Ich verzichte auf meinen Sport im Verein, genauso wie beide Kinder. Ich verzichte auf meine Chorproben. Und es ist noch nicht absehbar, wann diese Dinge wieder starten können. Aber die Schulen ohne Abstandsregelungen innerhalb der Klasse, das geht dann wieder.
Ich bin wütend, frustriert, fassungslos. Ich kann es nicht verstehen.
Bis zum 18. Mai ist noch etwas Zeit. Vielleicht habe ich etwas übersehen. Vielleicht kommt es doch anders. Vielleicht. Aber wahrscheinlich wohl nicht. Aber man weiß ja nie, was die Wissenschaft in einer Woche wieder herausgefunden hat. Oder wie die Zahlen dann sind. Ich bleibe skeptisch. Und wütend. So, ich gehe jetzt noch ein wenig Augen rollen.
Eure Wiebke
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Tanja's Everyday Blog
Das ist ja wirklich eine krasse Wendung. Bei uns in Bayern dürfen die 1. Klassen am 18. Bzw. 25. Mai anfangen. Die Klassen werden halbiert und wochenweise unterrichtet. Genaueres wissen wir dennoch noch nicht. Trotzdem habe ich Respekt davor meine kleine in die Schule zu lassen. Mein Mann hatte Verdacht auf Corona gehabt wegen starken Husten und mein herz ist damals fast stehen geblieben, weil ich nicht wusste wie ich damit umgehen soll. Es ist gut ausgegangen, aber sowas bei meinen Kindern vorstellen? Da bleibt mir die Puste weg… 😔 Wünsche dir viel Kraft und Durchhaltevermögen in dieser schweren Zeit 💓
Liebe Grüße,
Tanja
Klaudia
Ich bin schockiert. Mit solchen Entscheidungen, war am Ende alles was wir die letzten zwei Wochen ertragen und gestemmt haben umsonst. Ich bin fassungslos.
Julia
Und warum nicht, wie anfangs behauptet, versuchen flexibel zu bleiben und die Auswirkungen von schrittweise Lockerungen beobachten und dann entscheiden, um auch zu wissen, welche Faktoren sich wie auswirken? 🤷 Und was ist mit Lehrern, die zur Risikogruppe zählen oder Eltern der Kinder? Da wäre auch eine Ausweichmöglichkeit ganz gut glaube ich.
verflixteralltag
Da bin ich ganz bei dir. Ich bin gespannt, was die nächste Woche noch an Infos und eventuellen Anpassungen bringt. :-/