Es wird Winter. Und wenn ich auf das Außenthermometer schaue, dann könnte man denken: Es IST Winter. Jetzt beginnt die Jahreszeit, in der man Kinder nur noch dick eingehüllt mit Handschuhen, Schal und Mütze, mit Schneehose und dicker Winterjacke nach Draußen schickt. Denkt man, oder? Doch dann höre ich immer wieder von Eltern, die ihren Kindern auch bei kalten Temperaturen auf dem Weg zum Kindergarten keine Hosen anziehen, weil es sich so sehr dagegen gewehrt hat. Also wird darauf verzichtet, denn schließlich ist mein Kind ein kompetentes Kind, das bereits selbst Entscheidungen treffen kann, die seinen Körper betreffen. So argumentierte auch geborgen & geliebt. Ich kann Ihr glühendes Pladoyer für mehr Mitbestimmung des Kindes sehr gut nachvollziehen. Doch bei allem Verständnis, sträubt sich da etwas in mir. Ich versuche es einmal zu erläutern.
Erfahrung um jeden Preis?
Ich verstehe, dass man Kindern die Chance geben muss, selber die Erfahrung von Warm und Kalt zu machen. Letzten Sommer durfte Wirbelwind bei 30 Grad mit ihren dicken Winterhandschuhen das Haus verlassen. Sie sah dann sehr schnell ein, dass es doch etwas zu warm für Handschuhe war. Diese Erfahrung machte sie ganz alleine, ohne dass ich sagte: „Die Handschuhe bleiben aus, das ist doch viel zu warm.“ Sie durfte selber erfahren, wie warm es unter gefütterten Handschuhen bei sengender Hitze werden kann. Das war für mich leicht, denn die Gesundheit war nicht gefährdet. Ein andernmal wurde es ihr im T-Shirt zu frisch und sie sagte mir auch kompetent, wie sie war, dass sie fror. Ich gab ihr meine Jacke. Glücklich war sie über die Zwangsjacke allerdings nicht (siehe Bild).
Aber barfuß im Schnee, das mache ich nicht mit. Denn ich bin diejenige, die sich dann das Gebrüll anhören darf, weil Körperteile drohen abzufrieren. Ja, genau so ist es letztens passiert. Als bei Minustemperaturen Wölkchen von mir das erste Mal in ihrem Leben Handschuhe übergestülpt bekam, zog sie sich diese selbstverständlich immer wieder aus. Greift sich ja auch doof, das Sandspielzeug, wenn man so seltsamen Stoff drumherum hat. Ausgezogen hat sie sich die Handschuhe also nicht, weil ihr zu warm war, sondern nur, weil sie gerade einfach störten. Die Folge: nach nur kurzer Zeit wurden ihre Hände knallerot und schwollen an. Wölkchens Laune sank auf einen Tiefpunkt. Sie schrie und meckerte, weil sie sich so unwohl fühlte. Ich musste den Ausflug abbrechen und ins warme Heim zurückkehren, wo auch eine Stunde später die Hände noch kalt waren.
Selbstbestimmung hin oder her. Das nächste Mal hatte ich darauf bestanden, dass die Handschuhe anblieben. Nach dem drölfzigsten Versuch ließ sie sie auch tatsächlich dran und wir konnten die frische WinterHerbstluft genießen.
Wie viel kann ein Kind selbst entscheiden?
Ich gestehe meinen Kindern Entscheidungsfreiheit zu, aber nur so weit ich es als Mutter vertreten kann, die nun mal die Verantwortung für ihre Kind hat. Immer im Blick die Frage, wie weit meine Kinder bereits fähig sind ihr Handeln richtig einzuschätzen. Und Wölkchen ist kognitiv einfach noch nicht in der Lage die Konsequenzen einzuschätzen, die nackte Hände bei Minustemperaturen mit sich bringen. Man lernt nicht nur aus Fehlern, sondern auch durch Beobachtung (wusste auch bereits Albert Bandura). Wenn ich Wölkchen versichere, dass der Herd heiß ist und der Schnee kalt, dann versteht sie das sehr wohl, auch ohne auf die Herdplatte zu greifen oder sich die Finger abzufrieren.
Wir sprechen hierbei nicht darüber, ob ein Kind bei 14 Grad Celsius einen Pullover tragen soll oder nicht, sondern um tatsächlich gesundheitlich bedenkliche Bereiche. Wenn mir Wirbelwind versichert, dass es ihr warm ist und sie gerne etwas ausziehen möchte, dann kann sie das gerne machen. Auch sie ist bereits bei frischen Temperaturen lediglich mit einem dünnen Langarmshirt über den Spielplatz gefegt. Kein Wunder, da war sie in Bewegung, ist umhergeflitzt und Trampolin gesprungen. Dennoch habe ich – bevor ich es ihr erlaubt habe – den Handtest gemacht. Wären ihre Hände kalt gewesen, hätte sie den Pullover anbehalten müssen. Aber sie waren warm. Sie hat sich richtig eingeschätzt. Ich vage also zu behaupten, dass auch mein Kind fähig ist, heute, mit ihren vier Jahren, ihren eigenen Körper richtig zu deuten und entsprechend ihres Empfinden sich einzukleiden.
Kinder sind soziale Wesen
Dennoch mache immer den Händecheck, bevor sie etwas ausziehen darf. Denn oftmals spielen hier andere Beweggründe eine Rolle, als die Temperatur, beispielsweise wenn sie nur deshalb etwas ausziehen möchte, weil ein anderes Kind ebenfalls etwas ausgezogen hat. Wir sollten nicht vergessen, dass Kinder nicht immer rational entscheiden, sondern soziale Wesen sind. Sie wählen ihre Kleidung nicht nur nach ihrem Kälteempfinden, sondern auch nach Geschmack und sozialen Aspekten. Nur weil sie gerne etwas ausziehen wollen, ist ihnen noch lange nicht warm. Vielleicht – ja sogar mit hoher Wahrscheinlichkeit – haben sie nur ein anders Kind ohne Jacke oder ohne Schuhe herumflitzen sehen. Nur weil ein Kind also sagt, dass ihm warm ist, muss es nicht stimmen, auch wenn es theoretisch in der Lage wäre das richtig einzuschätzen!
Eltern in der Verantwortung
Wir können als Eltern nicht die Verantwortung komplett auf unser Kind abwälzen und erwarten, dass es solch komplexe Entscheidungen trifft, die es mit seinen jungen Jahren noch gar nicht verstehen kann. Wir Eltern können uns nicht völlig aus der Pflicht nehmen und am Ende, wenn das Kind fröstelnd vor der Heizung sitzt und sich von seinem barfüßigen Spaziergang erholt, sagen: Du wolltest es ja so! Du hättest ja etwas anziehen können!
Das ist meine Meinung. Selbstverständlich muss das jeder für sich selbst entscheiden und vertreten können. Nur wenn es um die Gesundheit des Kindes geht, hört bei mir das Verständnis auf.
Wie handhabt Ihr das? Gehört Ihr zur Fraktion „Ich entscheide“ oder „Mein Kind darf alles“?
Eure Wiebke
Snowqueen
Danke für deinen schönen Artikel. Ich kann deine Argumente gut nachvollziehen. Was ich nicht ganz verstehe: Meinst du, die Eltern, die ihren Kindern die Erfahrung von ‚barfuß im Schnee‘ machen lassen ziehen das Ganze dann bis zum Nach-Hause-Kommen durch? Es las sich für mich so, ganz sicher bin ich mir aber nicht. Denn natürlich haben diese Mütter dann warme Socken und warme Schuhe dabei. Idealerweise sind die Socken sogar noch durch einen Handwärmer (diese Knickdinger, die heiß werden) angewärmt und werden dann dem Kind an Ort und Stelle übergezogen. Kein Kind will stundenlang barfuß im Schnee laufen. Und die Eltern wollen natürlich nicht jede Draußenspielzeit vorzeitig abbrechen, weil die Kleidung unangemessen ausgewählt war. Genau DA liegt dann unsere Verantwortung, weil wir die Erfahrung eben schon haben und es tatsächlich besser wissen: Wir müssen an dem Punkt, an dem das Kind merkt ‚Jetzt ist mir kalt!‘ mit wärmenden Sachen bereit stehen.
Liebe Grüße, Snowqueen
verflixteralltag
Liebe Snowqueen,
vielen Dank für deine Erläuterung. Ich muss gestehen, dass ich das“barfuß im Schnee“ tatsächlich so verstanden habe, dass es ein längerer Marsch wäre. Die Liebe Lisa von geborgen und geliebt hat mir auch bereits gesagt, dass sie das nur kurz macht und dann vorgewärmte Socken überzieht. Auf die Idee kam ich noch nicht. Aber genau darum finde ich den Austausch hier so toll, dass man auch neue Welten kennen lernt. <3
Ob ich es nun doch machen würde, weiß ich aber nicht...
LG Wiebke
Jeanette in Übung
Danke für den tollen Artikel, ich finde er beschreibt sehr genau den Spagat zwischen Verantwortung über nehmen und den Kind vertrauen… Da muss man sich jede Situation genau anschauen und kann nicht pauschal agieren. Das macht es so anstrengend aber es ist so bereichernd wenn es klappt…
Kathrin
Erstmal Artikelfremd: Ich konnte mich zwar erfolgreich für den Newsletter anmelden per Mail, habe auch die Bestätigungsmail bekommen, aber bei neuen Beiträgen erhalte ich trotzdem keine Beanchrichtigung 🙁 Dasselbe Problem habe ich aber mit anderen Blogs über WordPress auch, keine Ahnung, woran das liegt…
dann zum Artikel: Ich bin ein großer Fan von Selbstbestimmtheit allgemein. In diesem besonderen Fall lasse ich auch das Kind entscheiden, denn es ist keinesfalls gesundheitsgefährdend, wenn man zu kalt angezogen rumläuft. Eine Erkältung bekommt man nämlich nicht, wie irrtürmlich allgemein gedacht, von zu viel Kälte sondern einzig und allein von Bakterien und Viren.
Natürlich würde ich mein Kind auch keine Stundenmärsche im Schnee machen lassen, aber wenn es eben keine Handschuhe will, dann ist das seine Entscheidung. Es muss nur mit den Konsequenzen leben können. Wenn es wegen der Kälte doch zu unangenehm wird, dann muss eben entweder abgebrochen werden und es wird heimgegangen oder es zieht doch die Handschuhe an.
verflixteralltag
Liebe Kathrin, vielen Dank für Deinen Kommentar.
Wenn mein Kind vor Kälte brüllt, weil es seine Handschuhe nicht anziehen wollte und selbige nun höllisch weh tun, dann möchte ich – ehrlich gesagt – nicht mit den Konsequenzen leben müssen. Dann möchte ich diese gerne von vornherein verhindern. Hierbei geht es mir noch nicht einmal um die Gesundheit, sondern um das Wohlbefinden auf beiden Seiten. Ich selber kann die Schmerzen meines Kindes nicht ertragen, auch wenn es ein noch so toller Lerneffekt sein soll. Hier muss wohl jeder für sich selber schauen, wo seine persönlichen Toleranzgrenzen liegen.
Viele Grüße, Wiebke
unci
Barfuß im schnee kann eine wunderschöne erfahrung sein, die niemand seinen kindern vorenthalten sollte!
Für eine minute oder zwei nach gutem aufwärmen und in bewegung bleiben, dann kann nichts passieren. Danach sofort wieder ins warme, insbesondere wenn das gefühl aus den zehen zu verschwinden beginnt.
Erst nach gewöhnung die zeitdauer allmählich steigern. Der körper lernt sich anzupassen (in jungen jahren geht das einfacher) und so kann die kälte auch den blutkreislauf in schwung bleiben.
Ihr solltet nur die risiken kennen und euren kindern erklären: Kälte wirkt so, dass zuerst die nerven „lahmgelegt“ werden, bevor es zu gewebeschädigungen (wie frostblasen) kommt. Das ist noch kein bleibender schaden, aber sehr schmerzhaft, weil sich die haut ablöst und darunter erst mal neue bilden muss. Dann fallen noch keine zehen ab, aber es braucht zeit, bis das heilt.
Deshalb ist es äußerst wichtig, ständig darauf zu achten, dass die zehen bis in die spitzen ausreichend mit blut versorgt werden und das tastgefühl vorhanden ist. Nach ein bis zwei minuten passiert nach gutem aufwärmen auch im schnee bei minusgraden noch nichts. (Es kommt natürlich auch aufs wetter an. Bei frühlingshaftem wetter und sonnenschein kann im restschnee kaum etwas passieren.)
Also, ein absolutes verbot wäre sicher fehl am platz. Die kinder von den knöchelgelenken aufwärts gut einpacken und eine intensive minute mit nackten Händen und Füßen im weichen neuschnee herumtollen, dann zurück ins haus, wenn der schnee frisch und angenehm ist, was gibt es besseres? Vorsichtsmaßnahmen siehe oben.
verflixteralltag
Vielen Dank für deine Erläuterungen. Du sagst es selber, es bedarf einiger Vorsichtsmaßnahmen, um daraus ein schönes Erlebnis zu machen. Ich gehöre, was das angeht, zur Fraktion „auf Nummer sicher gehen“. Bislang kam bei der Großen auch noch nicht der Wunsch auf, es auszuprobieren. Im Frühling im Restschnee könnte ich es mir am ehesten noch vorstellen. Forcieren würde ich es jedoch nicht.
Liebe Grüße, Wiebke
unci
Als kleine ergänzung: Sollten sie im haus gern barfuß sein, spricht absolut nichts dagegen. Erfrierungsgefahr droht erst ab dem gefrierpunkt. Ab ca. 10°C ist es rein gesundheitlich völlig unbedenklich, auch längere zeit barfuß draußen zu sein, zumindest wenn sie gesund sind und sich bewegen. Da sind die füße auch nicht anders als die hände. Das schreibe ich nur, weil manche eltern etwas zu übervorsichtig sind und ihre kinder zu warm anziehen, sobald die temperatur etwas unter zimmertemperatur sinkt. Sie werden sich weder erkälten noch etwas an der blase oder niere kriegen. Wichtig ist, dass sie sich gut fühlen und lernen, ihre empfindungen richtig einzuordnen.
Judith
Ich handhabe es so, wenn die Kinder mir nicht glauben wollen dass es kalt ist, dass ich sie auf dem Balkon die Temperatur testen lasse.
Entweder sagt mir dann zB die Große, dass die tatsächlich nicht friert, oder aber meistens sieht der Mittlere ein, dass ich recht hatte und es zu kalt für seine Auswahl ist.
Je nach Alter können die Kinder eben die Konsequenzen wirklich noch nicht abschätzen.
Meiner jüngsten mit 3 Jahren kann ich noch so sehr erklären, dass sie mit den Konsequenzen klarkommen muss, sie kann das beim besten Willen nicht abschätzen was das bedeutet.
Der Temperaturtest zeigt ihr aber wie kalt es wirklich ist und das ganz ohne ganz-oder-gar-nicht-Konsequenzen.
Zu barfuß im Schnee:
das kann auch wärmen.
Als ich klein war hatte ich auf einer Wanderung kalte Füße, mir taten die Zehen ziemlich weh.
Mein Vater hat mich die Schuhe ausziehen lassen und mich barfuß für ca 1-2 Minuten in den Schnee geschickt. Danach schnell wieder Socken und Schuhe an und es war wohlig warm 🙂