„Heute gab es keine Bestrafung!“

"Heute gab es keine Bestrafung"

Mir zieht sich der Bauch zusammen, als ich diesen Satz höre. Zögerlich hatte ich Wirbelwind gefragt, wie es denn im Hort der Schule läuft. Zögerlich deshalb, weil ich Angst vor der Antwort hatte.

Heute gab es keine Bestrafung.“, sagt mir mein Kind in einer Tonlage, als wäre es das Normalste der Welt, dass Bestrafung und Hort irgendwie zusammen gehören.

Eine unruhige Klasse

Ich denke an die letzten Wochen zurück. Acht Monate ging mein Kind in die Schule – und Hort. Es war ein holpriger Start für die 27-köpfige Klasse. Gleich zu Beginn verschwand die Klassenlehrerin für mehrere Wochen zur Kur. Schlechte Voraussetzungen, damit die Klasse als Gemeinschaft zusammen wachsen kann. Die Klassenlehrerin war zurück und der Schulalltag da. Doch hinter der Fassade brodelte es scheinbar mächtig. Ab und an erzählte Wirbelwind, dass jemand in der Schule einen anderen gebissen, gehauen, getreten oder angespuckt hat. Immer wieder erzählt sie von 2-3 Kindern, die ganz schön Unfug in der Klasse trieben. Von Seiten der Klassenlehrerin kam keine Information, zumindest nicht an die Eltern der unauffälligen Kinder.

Bestrafungsmaßnahmen für mehr Disziplin

Nun, im März, platzte die Seifenblase. Ein Kind erzählte zu Hause, dass die Kinder im Hort bestraft werden für ihr Verhalten. Es machte die Runde im Klassenchat und nun fragten auch die anderen Eltern ganz gezielt ihre Kinder, was denn im Hort so abgehe. Es kam Grausiges an den Tag. Der Klassenchat lief heiß. So heiß, dass die Elternsprecherin drohte den Chat zu löschen.

Ja, die Klasse ist lebendig und stellt (scheinbar) allerlei Unfug an. Zumindest ein paar der Kinder. Aber weil die Klasse ja als solche zusammenwachsen müsse, reagierte der Hort – genauer gesagt die zugewiesene Erzieherin – mit kollektiven Bestrafungsmaßnahmen. Hier ein Auszug: Wenn die Kinder beispielsweise zu laut wurden, mussten sie alle zusammen draußen bei winterlichen Temperaturen auf den kalten Holzbänken sitzen. 10 Minuten. Wenn jemand auch nur flüsterte, wurde die Bestrafung um weitere 10 Minuten verlängert. Rufe von Kindern, dass ihnen kalt sei, wurden ignoriert. Im Hortraum war es ähnlich. Hier mussten die Kinder mit ähnlichen Zeitvorgaben kollektiv die Wand anstarren. Wer gar nicht hörte, kam an die Hand der Erzieherin.

Wie ging es weiter?

Die Elternsprecherin bat um Ruhe und Geduld. Sie sprach mit der Erzieherin, der Hortleitung und der Klassenlehrerin. Erst hier wurde betont, dass die Klasse die Unruhigste von allen sei. Sie befände sich noch in der Phase der Findung, in der Machtkämpfe an der Tagesordnung wären. Wenn diese Phase überstanden sei, dann würde es auch besser werden.

Die Erzieherin sah ein, dass die Bestrafung nicht der richtige Weg sei. Inwieweit Alternativen aufgezeigt wurden, ist mir nicht bekannt. Zumindest scheinen aktuell die Bestrafungen ausgesetzt, wenn man der Aussage des Kindes glauben kann. Fraglich ist, was das Kind als Bestrafung betrachtet, und welche „Erziehungsmaßnahmen“ im Hort weiterhin im Hintergrund laufen und – das ist wohl das Erschreckendste daran – als normal empfunden werden. Denn bislang hatte kein Kind es für notwendig erachtet, von den Bestrafungsmaßnahmen zu erzählen. Es gehörte eben dazu. Und wenn wir es nicht doch irgendwie erfahren hätten, wer weiß wie lange unsere Kinder diese Prozeduren weiter hätten durchlaufen müssen. Und wer weiß, wie sehr sie diese verinnerlicht, als normal empfunden und später vielleicht selber angewendet hätten.

Professionelle Kinderbetreuung

Ich bin fassungslos, dass eine frisch ausgebildete Erzieherin solche – auch gesundheitlich gefährdenden – Bestrafungen einsetzt, um Herr (also Frau) der Lage zu werden. Werden diese Vorgehensweisen tatsächlich heute noch propagiert? Ist das Teil der Ausbildung? Ich bin eigentlich überzeugt davon, dass dies nicht der Fall ist. Umso unglaublicher ist es, dass solche Maßnahmen dennoch Einzug in die professionelle Betreuung unserer Kinder halten.

Und trotz aller Kritik und allem Unverständnis möchte ich zum Schluss dennoch eine Lanze für die ErzieherInnen brechen. Denn die Kinder, die gerade noch im Kindergarten einen Betreuungsschlüssel von 1:12 „genossen“ (den ich übrigens ebenso unangemessen finde), werden ein paar Monate später nach einem anstrengenden Schultag mit einem Verhältnis von 1:27 betreut. (Offiziell liegt der Schlüssel bei 1:22, dieser ist bei der aktuellen Personalsituation aber nur auf dem Papier vorhanden.)

Sicherlich werden die Kinder älter, reifer, einfacher zu händeln. Sicherlich wird sich die Klasse (hoffentlich) irgendwann zusammenraufen. Vielleicht werden ein paar der Kinder, die sich so gar nicht in die Klasse fügen, die Schule verlassen. Und mit aller Wahrscheinlichkeit wird es entspannter werden, wenn sich Routinen eingefahren und Kinder und Erzieherin besser zueinander gefunden haben. Sicherlich. Dann ist vielleicht ein Betreuungsschlüssel von 1:27 (in Hort UND Schule) händelbar. Nur eine Frage bleibt bestehen:

Wie wird es im neuen Jahr mit den nächsten ersten Klassen sein?

Eure Wiebke

2 Comments

  1. 11 April 2019 at 9:01 am

    Liebe Wiebke,
    so lang hab ich nicht mehr bei Dir kommentiert. Jetzt muss ich mich aber unbedingt äußern. Unsere „Großen“ sind ja im selben Alter. Meine Motte ist auch vergangenen Sommer eingeschult worden, daher berührt mich sehr was Du schreibst. Ich bin – gelinde gesagt – schockiert über das was Du hier schreibst und finde keine Worte über das was ich gerade fühle. Wut, Traurigkeit, Entsetzen. Eine Bestrafung dieser Art ist – abgesehen von den gesundheitlichen Risiken – erniedrigend und völlig unangemessen. Wir reden hier davon, dass sich 27 Kinder neu kennenlernen müssen. Kinder, die sich außerdem auf eine neue Situation einstellen sollen und die mit 6 oder 7 Jahren außerdem noch einen ausgeprägten Bewegungsdrang haben. Lehrer und Erzieher die an Grundschulen arbeiten, sollten dahingehend ausgebildet sein. Eine erste Klasse zu betreuen ist schließlich keine Ausnahmesituation, sondern Alltag. Gut finde ich, dass Ihr als Eltern dahingehend sofort reagiert habt als ihr davon erfahren habt. Ich finde auch, dass stetig dazu weiterhin das Gespräch gesucht werden muss. Vielleicht findet man im Dialog auch eine Möglichkeit, wie die Eltern einen Beitrag dazu leisten können die Situation zu entspannen.
    Aus der Erfahrung an unserer Schule kann ich versichern: es geht auch anders. Auch wir haben in der Nachmittagsbetreuung ein Problem was die Kapazitäten beim Mittagessen angeht. Zu viele Kinder, zu wenig Platz, dadurch Chaos und auch viel Unfug den die Kinder machen. Oft eine unruhige und nicht wünschenswerte Atmosphäre zu den Mahlzeiten. Das auszuführen würde hier zu lange dauern. Aber die Schulleitung und auch die Betreuungsleitung geht damit sehr offensiv um. Bezieht die Eltern ein, sucht den Dialog und arbeitet fieberhaft mit Behörden und Caterer an einer Lösung. So sieht für mich Konfliktlösung aus.
    Ich wünsche Euch, Deinem Wirbelwind und auch allen anderen Kindern Eurer Klasse eine zugewandte und friedliche Grundschulzeit an die sich alle gern erinnern. Sei ganz lieb gegrüßt, Anna

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