Es ist schon seltsam, wie ein Kind das eigene Leben völlig umkrempelt. Mit kugeligem Bauch stellt man sich zwar vor, wie das Kind wohl später mal sein wird, wie man es zu Bett bringt, wie man mit ihm Ausflüge macht. Aber – so ging es zumindest mir – viel mehr ins Detail geht es dann eben doch nicht. Ich hätte nie gedacht, dass das Leben mit meinem geliebten Wirbelwind so viel bunter werden würde. Ich fühle mich erfüllt, von ihr als Person, von ihren Ideen, ihren Worten, ihren Taten. Auch wenn ich gerne einmal etwas mehr Ruhe hätte, könnte ich mir mein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Besonders bewusst wurde es mir heute morgen, als ich auf dem Heimweg vom Kindergarten ins Grübeln kam…
Szene VOR 2012 (vor der Geburt meiner Tochter)
Ich laufe den Weg entlang. Ich möchte etwas erledigen. Zielstrebig steuere ich auf meine Destination zu. Ich schaue nicht nach Links und Rechts. Ich kenne die Gegend und weiß, wie es um mich herum aussieht. Das ist Zeitverschwendung. Lieber lasse ich meine Gedanken kreisen und überlege, was ich als Nächstes zu tun habe, arbeite meine Checkliste ab. Ich überlege, was ich heute nachmittag noch mit meiner Freizeit anstelle, auch wenn ich weiß, dass ich am Ende wieder gelangweilt vor dem Fernseher sitzen werde. Es ist eine Mischung aus völliger Kontrolle bei gleichzeitiger Leere. Ich bin unerfüllt. Etwas fehlt.
Szene HEUTE
Ich habe meine Tochter im Kindergarten abgegeben und laufe nun nach Hause, den selben Weg, den ich ein paar Minuten zuvor mit ihr in die andere Richtung gegangen bin. Ihre Stimme hallt noch nach. Sie ist überall präsent. An der Ampel sehe ich, wie sie an mir vorbeiflitzt, um auch ja vor mir „Signal kommt“ zu drücken. An der Mauer sehe ich sie hochklettern, galoppieren, Stöckchen sammeln, alte Kastien aufheben, mich zum „Auf der Mauer, auf der Lauer“-Singen annimieren und schließlich wieder voller Begeisterung herunterhüpfen. An der nächsten Kreuzung erinnere ich mich, wie sie sich fasziniert hinhockte, weil sie eine Ameise entdeckte. Und schließlich passiere ich die Hecke, bei welcher wir die letzten Tage beobachtet haben, wie aus Knospen kleine Blätter wurden. Noch immer wackeln die zarten Blätter vor sich hin, erfüllt von der sanften Berührung meines Kindes.
Ich bin erfüllt. Jeder Winkel meines Lebens ist infiziert. Egal wo ich bin und was ich tue, ich werde an mein Kind erinnert. Die Welt ist plötzlich wieder so bunt, so lebendig. Ich lerne von Neuem, mich über scheinbare Nichtigkeiten zu wundern. Ich lerne zu Staunen über die Schönheit der Welt.
Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen als Mutter zu sein. Ich bekomme Tränen der Gerührtheit in meine Auge, allein wenn ich sie an meiner Hand halten darf oder sie einfach nur beim Spielen beobachte. So ein wunderbares Wesen. Ich habe es geschaffen. Und ich darf es in ihrem Leben begleiten. Ich bin erfüllt.
RegrettingMotherhood?
Mit genau diesen Gefühlen der Erfülltheit, der Vollkommenheit, des Glücks, bin ich auf die aktuelle Diskussion bei Twitter zum Thema #regrettingMotherhood gestoßen, welche wohl ihren Ursprung in der israelischen Studie von Orna Donath hat (vgl. auch den Stern-Artikel zum Thema).
Ich muss gestehen, dass ich nicht wirklich viele Beiträge dazu gelesen habe. Der Stern-Artikel hat mir aber zumindest verdeutlicht, dass es eben tatsächlich diese Mütter gibt. Frauen, die sich in ihrer (gesellschaftlich konstruierten) Mutterrolle einfach nicht wohl fühlen. Auch wenn ich es nicht nachvollziehen kann, warum diese Mütter die Mutterliebe nicht empfinden, die mich scheinbar erfüllt, so kann ich zumindest verstehen, dass man sich in einer Rolle, in welche man von der Gesellschaft hineingedrängt wird, nicht wohlfühlt. Manche sehen sich nicht in der Rolle des fleißigen Arbeiters, da sie Arbeit allein nicht erfüllt. Manche sehen sich nicht in der Rolle des Anwalts oder Arztes, welche die Eltern für ihren Sprössling auserkoren haben. Wiederum andere sehen sich vielleicht nicht in der Rolle des nächstenliebenden Bürgers und ziehen sich lieber zurück. Und genauso kann es eben Frauen geben, die aus gesellschaftlichen Zwängen heraus Mutter geworden sind, obwohl sie sich nie in dieser Rolle gesehen haben.
Das versuche ich zu verstehen, doch es fällt mir schwer angesichts meiner Muttergefühle. Ich gehe definitiv auf in dieser Rolle. Sie ist wie für mich gemacht. Nein, ich bereue es nicht. Auch wenn ich mal ausgepowert bin, wenn ich mir einmal mehr Freizeit, mehr Zeit für mich ganz alleine wünschen würde, auch wenn mich mein Kind mal wieder auf die Palme bringt. Ich bereue nichts. Ich bereue es in keiner Sekunde meines neuen, wertvollen Mutterdaseins. Wie kann man es bereuen einen Menschen ins Leben gesetzt zu haben, der einen morgens mit den Worten „Mama, ich hab dich lieb. Du bist meine Freundin“ begrüßt, oder jemand, der einem mit seinem Lächeln das Herz schmelzen lässt?! Ich kann es nicht.
Eure Wiebke
Dieser Post ist Beitrag der Blogparade von Villa Schaukelpferd, welche auch auf Twitter unter #dasbinichjetzt läuft.
Frühlingskindermama
Liebe Wiebke,
Du hast einen wunderschönen, berührenden Text geschrieben. Und das sage ich, obwohl es mir ganz anders als Dir geht. Ich meinerseits habe viel bewusster gelebt, als ich die Kinder noch nicht hatte, habe mich viel mehr an Kleinigkeiten erfreut und war glücklich über all die schönen Dinge und Erlebnisse in meinem Leben. Jetzt ist vieles davon leider verschwunden.
Vielleicht hast Du meinen aktuellen Text gelesen, wo ich einiges davon anreiße:
http://fruehlingskindermama.blogspot.de/2015/04/wie-mich-das-mamasein-verandert-hat.html
Und trotzdem finde ich Deinen Text sehr berührend, weil er beschreibt, wie ich mir das Muttersein eigentlich vorgestellt hatte. Genauso sollte es sich anfühlen. Dass ich nicht so empfinden kann, dafür kann keiner etwas. Vieles wurde sicherlich auch von dem schwierigen Kind verursacht. Du schreibst, dass Dein Kind Dich morgens mit den Worten "Mama, ich hab Dich lieb" begrüßt. Das ist wunderschön. Ich wurde jahrelang morgens mit Geschrei, Genöle und Gemecker begrüßt, und das ging den ganzen lieben langen Tag so weiter. Das ist dann schon was anderes. Da fällt es schwer, positive Muttergefühle zu entwickeln (ist nur ein Beipsiel von vielen). Das hat auch (bei mir) weniger etwas mit einer gesellschaftlich konstruierten Mutterrolle zu tun als vielmehr mit einem von Beginn an negativen Feedback des Kindes.
Ich mag Deinen Text sehr, obwohl ich es nicht so empfinde. Er beschreibt, wie ich es mir gewünscht hätte.
Liebe Grüße!
Wiebke Verflixter Alltag
Deinen Text kannte ich noch nicht und hab es gleich nachgeholt. Es ist schade, dass Du deine Mutterschaft nicht so genießen kannst, wie du es ja scheinbar möchtest.
Auch bei mir war das erste halbe Jahr geprägt von Fremdbestimmtheit und Verzicht. Aber vielleicht genieße ich die Zeit jetzt gerade deshalb umso mehr.
Ich hoffe auch Dir wird es bald so gehen!
LG Wiebke
Manati
Ich finde deinen Text auch wunderschön und sehr berührend. Ich kann bei diesem Thema (noch) nicht wirklich mitreden, lese aber mit Interesse die vielen verschiedenen Erfahrungen dazu und kann mich teilweise auch in die nicht so positiven Berichte reinversetzen. Umso mehr freut es mich für dich, dass dich das Muttersein so erfüllt und es so ist, wie du es dir vorgestellt hast. Das ist einfach schön zu lesen.
LG, Manati
Wiebke Verflixter Alltag
Liebe Manati. Ich hoffe bei Dir wird es auch so sein. Man darf eben nur nicht erwarten, dass es von Beginn an so sein wird. Hab Geduld 🙂
LG
Anonym
so wie ich das bei #RegrettingMotherhood verstanden habe (auch bei dem besagten Artikel) geht es ja nicht darum dass die Mütter keine Mutterliebe empfinden! Sie lieben Ihre Kinder, fühlen sich aber eben nur nicht in ihrer Mutterrolle wohl. Sowas kann man ja davor auch nicht wissen! Diese Frauen haben sich bestimmt Kinder gewünscht, bewusst das es eine Umstellung wird, und sich dafür entschieden. Aber nur weil man ungefähr weiß was auf einen zukommt heißt das ja nicht dass man damit zurecht kommt! Ich habe einige Kommentare dazu gelesen und bin entsetzt was manche dazu schreiben. Von Beschimpfungen an diese Frauen, dass sie doch kein Kind in die Welt setzen sollen wenn sie keine gewollt hatten bis zu "dann gebt sie doch zur adoption frei". Das gibt mir das Gefühl dass nicht verstanden wurde was in diesen Frauen vorgeht. Sie sind zerrissen zwischen Liebe zu ihren Kindern und Sehnsucht nach ihrem alten Leben! Ich habe selber ein Kind, es war ein Wunschkind, und bereue es nicht. ABER ich kann diese Frauen verstehen! Ich kann verstehen das sie sich Ihr altes Leben wünschen, das sie sich eingeengt fühlen und nicht zufrieden sind nur noch als Mutti abgestempelt zu werden. Aber das heißt nicht dass sie ihre Kinder nicht lieben. Man kann sich seine Gefühle eben nicht aussuchen! Ich dachte dass man heute soweit wäre auch sowas zu tolerieren, aber anscheinend MUSS eine Mutter nur durch ihre Liebe zu ihren Kind(ern) leben und darf nicht zweifeln und sich nach einem Leben ohne Lärm, Windeln etc sehnen ohne gleich als Rabenmutter dazustehen 🙁
Wiebke Verflixter Alltag
Vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich sehe es auch so, dass Mütter nicht verurteilt werden sollten, weil sie mit ihrer Mutterrolle nicht klar kommen, sich vielleicht etwas anderes darunter vorgestellt haben oder ähnliches. Sie deswegen zu beschimpfen ist unvorstellbar. Ich habe nur versucht zu verdeutlichen, dass ich versuche es zu verstehen, auch wenn es mir eben schwer fällt. Und das war ganz unvoreingenommen und nicht wertend gemeint!
Du sagst unter regrettingMotherhood sind Frauen gemeint, die mit Ihrer Mutterrolle nicht klar kommen, aber durchaus Mutterliebe empfinden können. Wenn das so ist, dann habe ich es tatsächlich falsch verstanden. Denn aus meiner Sicht impliziert doch das Bedauern jemals Mutter geworden zu sein, dass man sich durchaus ein Leben ohne das jetzige Kind (bzw. die Kinder) zurückwünscht. Wie ist das mit Mutterliebe vereinbar?
Vielleicht sind es gerade diese Widersprüche, welche die Diskussion so anheizen und eben auch zu Missverständnissen und Verurteilungen führen.
Anonym
Ich finde das durchaus vereinbar! Man kann doch z.b. seinen partner auch lieben aber wissen dass es einem ohne ihn besser geht (weil er einen einengt, er zu eifersüchtig ist oder ganz schlimm: einen schlecht behandelt). Nur das man einen Mann verlassen kann, ein Kind aber nicht (zumindest nicht ohne verpöhnt zu sein)
Das sind natürlich verwirrende gefühle, ich denke das verstehen betroffene mütter selber nicht recht! Ich denke sie hassen sich zu einem teil auch selber so zu empfinden – eben weil sie ihre kinder lieben! Trotzdem bin ich mir sicher dass solche Gefühlkonstelationen existieren und toleriert werden sollten. Die Mutter macht das nicht mit Absicht und leider sicherlich extrem darunter….mir tat das im Herzen weh als ich manche Kommentare gelesen habe! Auch wenn ich nichts bereue, denke ich manchmal "mensch, jetzt würd ich gerne mal einfach spontan in den urlaub fahren"! Wünsche ich mir dann denn nicht auch mein "altes" leben zurück? Sind solche gedanken nicht normal? Bin ich deswegen eine schlechte mutter? Liebe ich deswegen mein Kind weniger? Ich sage nein! Ich habe für mich Kind vieles aufgegeben. Meine Arbeitssituation (vorerst), meine Hobbies, lange Duschen, ausgiebig schminken, laute Rock Musik hören…Ich trauere dem auch hinterher, trotzdem hab ich es gern getan und würde es nicht anders machen! Manche Mütter verlieren sich aber vllt in diesen Sehnsüchten und Erinnerungen…und sie sind schlecht weil sie das denken (und aussprechen) was sich viele Mütter mal kurz denken, wenn das kind weint, man übermüdet ist und der Boden vollgekotzt ist. Ich finde Mama sein ist schön, aber leicht ist es nicht! Aber Mütter MÜSSEN alles können und es auch noch gerne und mit liebe tun, weil das nicht anders geht und einfach so ist! Das ist doch diese Rolle, die in den meisten Köpfen existiert und eben diese passt eben nicht auf jede Frau! Liebe ist eben nicht alles!
Wiebke Verflixter Alltag
Ok, ich fange an es besser zu verstehen 😉
Dennoch denke ich nicht, dass, nur weil man mal seine Ruhe haben möchte, man automatisch sein Kind verleugnet. Ich gehe beispielsweise auch gerne einmal weg und bin froh, wenn der Mann auf das Kind aufpasst. Aber dennoch bleibe ich eine Mutter, quatsche mit Freunden auch in meiner Abwesenheit über mein Kind oder – wie oben beschrieben – erinnere mich an Ihre Präsenz.
Ich denke hier mischen sich zwei verschiedene Aspekte in die Diskussion. Einerseits das, was Du gerade eingangs beschrieben hast, der Widerspruch zwischen Liebe und Bedauern, also das, was ursprünglich mit der israelischen Studie gemeint war. Andererseits fühlen sich viele Mütter angesprochen/angegriffen, die eben einfach einmal eine Auszeit brauchen, sonst aber gerne Mutter sind. Das sind aus meiner Sicht zwei paar Schuhe.
Anonym
Da kannst du gut recht haben! Ich wollte dich eigentlich auch nicht damit nerven, mir lag das nur irgendwie auf dem Herzen, diese Mütter zu "verteidigen".
🙂
Azeem Iqbal
nice and beautifull . touch my heart