Immer öfter ist der Begriff „High Need“ in Bezug auf ein sehr Aufmerksamkeit forderndes Baby zu hören. Gemeint sind Babys, die durch ihre willensstarke Art und ihre hohen Bedürfnisse die ständige Präsenz der Eltern einfordern und somit ganz besondere Herausforderungen an die Eltern und den Alltag stellen. In einem früheren Beitrag habe ich bereits erläutert, welche Kriterien es gibt, die auf ein High-Need-Baby hinweisen. Und in einem etwas humoristisch gemeinten Beitrag habe ich 15 Kriterien benannt, an denen man die geforderten Eltern erkennen kann.
Anlass darüber zu schreiben waren meine eigenen Erfahrungen mit meiner zweiten Tochter, Wölkchen. Immer wieder kam ich in der Babyzeit an meine Grenzen, weil ich kaum zur Ruhe kommen konnte. Wölkchen schlief fast ausschließlich im Tragetuch, was bedeutete, dass ich (oder an den Wochenende der Mann) auch zu den Schlafenszeiten okkupiert war. Ab dem fünften Monat kamen dann noch Nächte hinzu, in denen ich zeitweise stündlich geweckt wurde. Ja, es war eine harte Zeit und in der Hinsicht trauere ich der Babyzeit nicht nach. Denn nun, wo Wölkchen auf die Zwei-Jahres-Marke zutappst, fällt es mir zusehends leichter auf sie einzugehen. Ich kann auch mal durchatmen, mich hinsetzen, in Ruhe duschen oder sogar für ein paar Tage das Kind komplett dem Mann überlassen. Ja das wäre vor einem Jahr noch unvorstellbar gewesen und es ist ein Befreiungsschlag.
Ist ein High-Need-Baby gleich ein High-Need-Kind?
Dennoch stelle ich mir immer wieder die Frage: werden High-Need-Babys automatisch zu High-Need-Kindern? Dass Kinder grundsätzlich pflegeleichter sind als Babys ist wohl jedem klar. Sie lernen laufen, erkunden die Welt, entdecken ihren Dickkopf und wollen immer mehr selber machen. Das ist der Punkt, wo man als Eltern gerne einfach zuschaut, anstatt an forderster Front mitzumachen. Doch gibt es Unterschiede zwischen den Kindern? Sind „anstrengende“ Babys auch „anstrengende“ Kleinkinder?
Zunächst einmal muss man unterscheiden zwischen den Gründen für das hohe Aufmerksamkeitsverlangen im Babyalter. Die einen Babys klammern, weil sie hochsensibel sind und von den äußeren Reizen schlichtweg überfordert sind. Die anderen sind ängstlicher und suchen den Schutz einer vertrauten Person und wieder andere haben vielleicht mit Schmerzen zu kämpfen, die durch KISS-Syndrom oder Koliken verursacht sein können. Ja oder es ist wie bei unserem Wölkchen, die zusätzlich zu einer sensiblen Ader einen enorm starken Willen hat und uns ihre Meinung immer und ständig mitteilt. Manche Ursachen verlaufen sich, wenn die Kinder älter sind. So wird ein Kind, dass anfangs viel getragen werden musste und viel geschrien hat, weil es Koliken hatte, später im Kleinkindalter vielleicht sogar ganz zufrieden und ausgeglichen sein. Sehr sensible, ängstliche oder extrovertierte Babys hingegen werden ihr Verhalten nicht plötzlich ablegen, nur weil sie die Ein-Jahres-Grenze überschritten haben.
Sicherlich werden diese Kinder mit einer zunehmenden Selbstständigkeit und einem gestiegenen (Sprach-)Verständnis auch kontrollierbarer. Das ist jetzt ein hartes Wort, aber ich meine damit, dass diese Kinder nicht mehr unkontrolliert schreien, weil sie keine andere Ausdrucksmöglichkeit finden. Sie finden Worte, um ihrem Empfinden Ausdruck zu verleihen und merken, wenn wir Eltern uns bemühen sie zu schützen und zu verstehen.
Wie wir als Eltern unsere High-Need-Babys fördern können
Auch die Forschung* bestätigt das. Die Umwelt des Kindes und damit in erster Linie die Eltern spielen eine entscheidende Rolle, wie das Kind sein Temperament auslebt und fähig ist schwierige Lebenssituationen zu meistern. Darüber hinaus sind High-Need-Kinder so empfänglich, dass sie vor dem Hintergrund einer qualitativen Eltern-Kind-Beziehung größere Fortschritte als „pflegeleichtere“ Kinder zeigen. Das bedeutet, wenn wir als Eltern unseren Kindern gegenüber zugewandt, sensitiv und herzlich begegnen, dann zeigen sie später weniger Verhaltensauffälligkeiten, als wenn wir ihnen kühl und gleichgültig begegnen. Dieser Effekt trifft allerdings auf wohl alle Kinder zu, nicht nur auf High-Need-Kinder. Zusätzlich weisen Studien darauf hin, dass die High-Need-Kinder bei einer hohen Zuwendung scheinbar auch bessere schulische Leistungen zeigen.
Wölkchen als High-Need-Kind?
Auch Wölkchen ist heute ein aufgewecktes Kind. Wenn ihr etwas nicht gefällt, dann teilt sie uns das sofort mit. Auch im Vergleich zu anderen Kindern fällt das auf. Während andere Kinder noch ruhig auf dem Schoß der Eltern sitzen und die Situation erkunden, mischt Wölkchen bereits gehörig mit. Sie teilt uns immer mit, was sie gerade denkt und fühlt. Und das ist eine wundervolle Eigenschaft.
Inzwischen geht sie in den Kindergarten, genauer gesagt die Kinderkrippe. Die Eingewöhnung verlief deutlich langwieriger, als bei der Großen. Nach zwei Monaten gab es aber endlich Tage, an denen sie nicht mehr bei der Abgabe weinte bzw. protestierte. Und nun, nach drei Monaten geht sie sogar selbstständig zur Tür herein. Es hat länger gedauert, aber es geht. Sogar das Schlafen klappt (im Kindergarten), was zu Babyzeiten ja auch ein heikles Thema war.
Zu Hause verlangt sie auch heute noch nachts unsere Aufmerksamkeit. Es vergeht kaum eine Nacht, in der sie gegen Mitternacht zu uns ins Bett kommen möchte. Die Nächte, in denen sie in ihrem Bett durchgeschlafen hat, sind überschaubar. Bei der Großen hingegen war das Durchschlafen in ihrem Bett zu diesem Zeitpunkt überhaupt kein Thema mehr.
High-Need als Geschenk
Ja, es ist anstrengend, wenn sie auch heute noch ständig hoch genommen werden möchte, um sich an mich zu kuscheln oder einen besseren Überblick zu bekommen. Und ja, es ist auch anstrengend, wenn sie sofort meckert, wenn ihr etwas nicht passt. Aber darüber hinaus ist es ein Geschenk an uns Eltern, dass uns das Kind so viel erzählt und mitteilt. Es lässt uns ganz genau wissen, was gerade in seinem Köpfchen vor sich geht. Es ist nicht stumm und undurchdringlich, sondern ein offenes Buch. Und wir Eltern haben bereits in der Babyzeit gelernt daraus zu lesen.
Das ist etwas, das aus meiner Sicht Eltern eines High-Need-Kindes den Eltern des pflegeleichteren Kindes voraushaben. Sie wurden bereits öfter damit konfrontiert ganz genau auf die Bedürfnisse ihrer Kinder zu achten. Ich möchte damit nicht den Eltern von pflegeleichteren Kindern diese Fähigkeit absprechen! Ich denke nur, dass der Blick von Eltern eines High-Need-Kindes viel stärker geschult wurde, quasi aus der Not heraus. Und vielleicht ist das dann sogar ein Vorteil, um in der Autonomiephase die Bedürfnisse seines Kindes besser zu deuten und Wutanfälle zu vermeiden. Zumindest mir bleibt diese Hoffnung, jetzt, wo Wölkchen die „Terrible Two“ ansteuert. 😉
Welche Erfahrungen habt Ihr damit gemacht, wie sich High-Need-Babys im Kleinkindalter entwickeln?
Eure Wiebke
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*Informationen zum Forschungsstand wurden hier entnommen. Es sei angemerkt, dass die High-Need-Forschung noch nicht sehr etabliert ist und Ergebnisse bzw. erste Ansätze daher entsprechend vorsichtig aufgenommen werden sollten.
Schlenki
Wenn ich von deinem Wölkchen lese dann sehe ich gefühlt ein Spiegelbild unserer Tochter – vor allem bei dem Thema der Eingewöhnung Kita und dem sensiblen und willensstarken Wesen und jaaaaaa die Babyzeit war zT soooo hart aber ich finde trotz der besonderen Art gibt es einem so viel jetzt im Kleinkindalter wieder und ich finde deine Worte bzgl dem Verständnis für das eigene Kinde sowie die Zugewandtheit zum Kind besonders in den high need starken Phasen tragen Früchte und ganz oft macht es mich auch stolz, dass dieser kleine Mensch so offen zeigt was er will und eben auch was er nicht will…das fällt einem als Erwachsener oftmals viel schwerer
Und nachts ist es mit fast 18 monaten bei uns haargenau wie bei dir beschrieben :'(
verflixteralltag
Ja das stimmt. Es ist toll, dass die Kinder ihre Gefühle so offen zeigen können. <3
Und für das Schlafen wünsche ich Euch viel Glück! Heute Nacht hat sie nur einmal nach dem Nuckel verlangt und dann durchgeschlafen! Es geschehen noch Zeichen und Wunder!
LG Wiebke
Susimaus
Ja, hier genauso, als wenn du von unserer Maus geschrieben hättest, nur dass sie schon über 2 ist ?
Durchschlafen tut suesse Sekten, aber inzwischen geht sie freiwillig schlafen und weckt mich dann erst nachts, so dass ich Abends malm2 Stunden für mich habe, bzw. Wir für uns. Ich empfinde das als Segen nach der harten Zeit . Selbst in der Kita wurde bemerkt, dass unsere Maus „anders“ ist, aber zum Glück im positiven Sinne ?
Klaudia
Unser erster Sohn hat gefühlt keinen Schlaf gebraucht. Bis weit ins dritte Lebensjahr hinein habe ich ihn nachts stillen müssen, weil es die einfachste Art war, um überhaupt zu etwas Schlaf zu kommen. Teilweise immer noch in 2 Stunden Abschnitten. Mit 4 Jahren und der Geburt des kleinen Bruders wurde es besser. Ich könnte wohl fast an einer Hand abzählen, wie oft er danach noch zu uns ins Bett gekommen ist. Der Kleine war von Anfang an entspannt, in sich ruhend und er hat geschlafen. Einfach so. Wir waren irritiert. Auch heute (mit 7) ist er in der Lage, sich in einer tobenden Freundeschar (zB Fussball Finale) auf den Teppich zu legen und unmittelbar in einen tiefen Schlaf zu fallen, einfach weil er müde ist. Der Grosse hätte Angst, etwas zu verpassen. Braucht eh nur wenig Schlaf. Wird immer noch vom kleinsten Geräusch wach oder am Einschlafen gehindert. Nur das kleine lebendige Kuscheltier, das ihm in Form seines Bruders zur Verfügung steht ?lässt ihn überhaupt schlafen. Auch mit 11 J. Belastet ihn alles in der Welt so sehr, daß es ihm den Schlaf raubt. Man sagt oft, Kinder die so sind und so wenig Schlaf brauchen, sind oft sehr intelligent. Bei ihm stimmt es, nimmt ihm aber viel Kindheit. Ändern möchte ich keines meiner Kinder, aber ich bin schon sehr froh, daß die Babyzeit des Grossen vorbei ist.
BENEDIKT MÜLLER
Hallo Alle zusammen,
wir haben auch eine High-Need-Baby und es ist manchmal / meistens wirklich sehr anstrengend. Unsere Tochter ist jetzt 13 Monate alt und in dieser Zeit haben wir es nicht einmal geschafft einen Film gemeinsam anzuschauen oder sonstige Aktivitäten. Die ersten Monate konnten wir nie zusammen am Esstisch essen, weil immer einer unsere Tochter tragen musste und sich dabei bewegen, einfach stehen reichte nicht aus. Ich weigere mich aber das Verhalten einem Krankheitsbegriff zuzuordnen, und deshalb finde ich persönlich das Konzept „High-Need-Baby“ sehr ansprechend!
Es gibt nämlich auch positives. Unsere Kleine ist am Spielplatz immer die erste auf der Rutsche oder wenn es darum geht mit den Großen zu spielen. Sie war mit Abstand die erste aus der Pekip-Gruppe die laufen konnte. Sie hat eben auch einen sehr großen Explorationsdrang (Bindungstheorie), es ist eben nicht nur das anhängliche vermeintlich bedürftige, sondern sie ist auch umsostärker im Ausdruck ihrer „positiven“ Gefühle. Von daher lassen wir es einfach laufen und schauen wohin die Reise und führt.
Eine Frage:
im Artikel steht das es Studien gäbe welche belegen, dass High-Need-Babys welche viel Zuwendung Erfahren haben und bessere schulische Leistungen erzielen. Welche Studien sind das denn ganz konkret? Das würde mich wirklich sehr interessieren. LG Benedikt
Viv
Hallo Wiebke,
ich bin gerade auf diesen Artikel gestoßen, der ja jetzt schon vier Jahre alt ist. Mich würde interessieren: wie ging es denn weiter? Hat Wölkchen kontinuierlich gelernt sich besser selbst zu beruhigen?
verflixteralltag
Wölkchen ist auch heute noch ein Kind, das sehr emotional reagiert und schnell in Tränen ausbricht. Allerdings finde ich es inzwischen bewundernswert, wie sie die ihre Meinung einsteht. Sie kann sich inzwischen ganz gut schnell wieder beruhigen. Wenn man also merkt, dass sie emotional wird, dann hilft es, kurz darauf einzugehen, zu beschwichtigen, Alternativen aufzuzeigen und dann ist der Spuk schnell wieder vorbei.
Auch kann sie schwer mit unerwarteten Veränderungen umgehen. Wenn sich Pläne ändern, muss man sie behutsam darauf vorbereiten. Dann ist es in Ordnung. Wenn man das weiß, hat man ein ganz entspanntes Kind. 😉 LG Wiebke
Janina
Hallo,
ich habe leider erst in diesen Tagen von der „Klassifizierung“ der high need Kinder erfahren. Schade, dass ich darauf nicht schon früher gestoßen bin.
Danke für deine positiven Ansichten!
Meine Tochter wird 3 und ich bin sehr erschöpft. Wir leben in Italien und ich denke, hier ist diese „Studie“ noch nicht so verbreitet. Es ist wahr, schon als Baby wurde mir von vielen gesagt, dass sie sehr Ausdrucksstark ist was Gefühle angeht. Im Kindergarten dauerte die Eingewöhnung ewig und bis jetzt will sie eigentlich nur mit mir Zeit verbringen und das fast ununterbrochen. Eine Erzieherin hat sie „theatralisch“ genannt. So wirkt es auch, da sie oft sehr „übertrieben“ reagiert. Ich habe stets versucht sie ernst zu nehmen und auf sie einzugehen. Aber ich stoße oft an meine Grenzen, obwohl ich sonst doch sehr einfühlsam bin.
Nun habe ich zumindest die Bestätigung, dass sie wirklich viele Kleinigkeiten so stark beunruhigen können und sie nicht nur übertreibt um noch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen oder „provoziert“.
Ich bekam natürlich auch viele Vorwürfe, weil ich sie ja ständig im Arm hatte bzw. im Tuch oder Trage getragen habe, dass sie ja natürlich so auf mich fixiert ist.
Mir ist es schon manchmal unangenehm wenn sie so ganz ablehnend anderen gegenüber ist.
Im Kindergarten ist sie auch sehr auf eine Erzieherin fixiert und hat große Probleme, wenn sie geht oder morgens nicht gleich da ist.
Sie ist wie eine „falsche“ Schüchterne denk ich immer. Sie braucht mindestens 30 min oder ein Stunde um sich „aufzuwärmen“, aber wenn sie dann die andere Person „akzeptiert“, zeigt sie ihren starken Charakter und „kommandiert“ gerne.
Tut mir leid, für den langen Kommentar.
Ich wollte gerne wissen:
1. Ob Wölckchen auch eher Schwierigkeiten hatte gezielte Aktivitäten zu machen bzw. sie alleine auszuführen, in Sinne von Montessori wie Umschütten, Einsetzen, Bauen, Stecken etc.
Also meine ist in allem sehr geschickt, aber zeigt leider nicht viel Interesse, auch nicht am duplo bauen. Sie will eigentlich nur Rollenspiele machen, oder Alltagsszenen mit ihren Figuren und vom Papa gebauten Häusern nachspielen.
2. Ob du auf die Forderungen meist eingegangen bist. Ich meine, jetzt mit fast 3, sollte „man“ lernen, dass nicht immer alles möglich ist. Sie ist seit Wochen in einer „Ich will…“ Phase. Ich lasse sie viel entscheiden, aber anschließend will sie dann doch das andere. Oder bekommt eine Krise, weil sie manchen grad nicht bekommen kann. Ich versuche immer alles zu erklären, aber irgendwann werd ich leider dann doch sehr wütend, wenn so gar keine Reaktion Richtung Einsicht kommt. 🙁
3. Hast du einen Tipp um ihre Gefühle mehr unter Kontrolle zu bekommen. Also wie ich ihr helfen kann oder zeigen kann, was sie selbst machen könnte?
4. Hat deine manchmal alleine gespielt, bzw. wie ist es jetzt?
Ich werde jetzt auf jeden Fall von mir aus einsichtiger werden, aber hoffe, dass ich irgendwann auch mal „ich selbst“ sein kann.
Vielen Dank für deinen Beitrag und eventuellen Antworten.
LG Janina