Da sitze ich nun, in diesem riesigen Hörsaal. 700 andere Studierende um mich herum. Während eine kluge Frau vorne in ihr Mikrofon spricht, murmelt und raschelt es um mich herum. Wo bin ich hier? Was mache ich hier?
Es ist verrückt. Ganze 15 Jahre ist es her, dass ich als Studentin in einem Hörsaal saß. Waren die Stühle damals auch schon so eng? Waren wir damals auch so laut?
Ich bin geschockt, mir brummt der Schädel. Es ist eine Art Kulturschock, der mich hier ereilt. Eben noch war ich aufgeregt angesichts der bevorstehenden, neuen Zeit. Nun ernüchtert. Fassungslos schaue ich meine Sitznachbarin an, die genau das ausspricht, was ich auch gerade denke: „Das ist so respektlos!“.
Respektlos.
In dem Raum sitzen ca. 700 Studierende. Menschen, die einmal selber vor einer Gruppe von jungen Menschen stehen und Gehör finden wollen. Vor Grundschülern. Doch dies scheint für diese Menschen so weit weg zu sein, dass sie sich nicht annähernd in die Lage versetzen können, wie es für diese kluge Frau da vorne sein könnte, wenn sie 90 Minuten in dieses Gemurmel hinein spricht. Hier gibt es keine „weiter so!“-Stempelchen für besonders ruhige Teilnahme. Es gibt keinen Eintrag ins Hausaufgabenheft, wenn man im Unterricht auf seinem Handy herumspielt. Vielleicht sollte es das. Denn da sitzen diese 700 Studierende, darunter wir 59 SeiteneinsteigerInnen, und starren mehr oder weniger interessiert nach vorne. Die einen whatsappen eifrig mit der halben Verwandtschaft, die anderen unterhalten sich lauthals über Privates, und wieder andere surfen auf ihrem PC im kostenlosen W-Lan. Die Wenigsten hören der Professorin aufmerksam zu. Warum auch? Die Skripte sind ja online verfügbar. Mitschreiben, geschweige denn Mithören, ist unnötig. Langes Zuhören und sich auf eine Sache konzentrieren verlernt.
Respektlos.
Wieder schwirrt dieser Gedanke durch meinen Kopf und ich frage mich, wie diese angehenden LehrerInnen wohl vor der Klasse stehen und reagieren werden, wenn genau dieses Verhalten einmal ihnen zuteil wird.
Wir SeiteneinsteigerInnen, in der Regel 20 Jahre älter als die „richtigen“ Studierenden, sind da anders sozialisiert. Computer, Internet, Handys mit Internetzugang. Das alles gab es in unserer Jugend noch nicht in dem Zugang, wie es heute der Fall ist. Dem näherten wir uns zögerlich in unseren 20ern an. In dem Alter, in dem nun die Studierenden neben uns in diesem riesigen Hörsaal sitzen. In diesem Moment fühle ich mich alt. Weit weg von der Generation, die dort neben mir sitzt.
Aber vielleicht hat diese neue Generation einen Vorteil: sie ist näher dran an den Kindern, die in die Grundschulen strömen. Das kann ein Vorteil sein. Und vielleicht merken sie spätestens dann, wenn sie vor der Klasse stehen und um Ruhe bitten, welche Auswirkungen das ständige Gequatsche für die Person, die sich da vorne einen abstrampelt, hat. Vielleicht. Doch eines weiß ich: an den Anblick dieser zwar physisch anwesenden, aber psychisch komplett abwesenden Generation werde ich mich wohl nie gewöhnen.
Eure Wiebke
Und damit dieser Beitrag noch eine lustige Wendung bekommt, folgt nun noch eine kleine Anekdote aus dem Hörsaal:
Eine Studentin näherte sich unserer Seiteneinsteiger-Gruppe, nahm zögerlich vor uns Platz und fragte verwirrt, ob sie in der richtigen Vorlesung sei, weil hier so viele ältere Leute säßen.
Gerne hätte ich geantwortet: „Sie müssen etwas lauter reden, ich kann Sie nicht verstehen!“.
Das nächste Mal.
Und wer sich jetzt fragt, was ich im Hörsaal treibe, der darf in diesem Beitrag schmökern, wie ich ich zu diesem Vergnügen komme.