Präsenzunterricht in Zeiten der Pandemie – freier Fall

Gedanken einer Lehrerin in Zeiten von Corona

Freier Fall

Ich schaue die Nachrichten. Verfolge die Zahlen. Schüttle den Kopf über die Entscheidungen unseres sächsischen Kultusministers. Mein Herz pocht heftig. Der Bauch grummelt. Der Kopf schmerzt. Ich schlafe schlecht. Mache mir Gedanken. Um mich, meine Familie, um andere Familien und alle Menschen, die es betrifft. Auch vorher habe ich mir Gedanken gemacht, logisch. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie ich den Lernstoff vermittle, wie ich Eltern und Kindern gerecht werde, wie ich der Schulleitung gerecht werde, ob ich genüge, da ich selber noch am Lernen bin. Doch nun kommt ein weiterer Gedanke hinzu: bleibe ich gesund? Bleiben meine Kinder gesund, die ja auch wieder Schule und Kindergarten besuchen? Es fühlt sich an, als würde mir der Boden unter den Füßen weggerissen. Kein Halt, nur freier Fall. Ich falle und falle. Die Frage ist nicht, ob ich irgendwann unten aufschlagen werde, sondern nur wann.

Grundschule und Corona

Fast drei Wochen ist es her, dass die Grundschulen wieder geöffnet wurden. Der Alltag in der Schule ist geprägt von Hygienemaßnahmen, die den Unterricht überschatten wie eine Schlechtwetterwolke. Ständig müssen die Kinder Händewaschen, dürfen von anderen Kindern nichts anfassen, geschweige denn das Essen teilen. Sie müssen im Treppenhaus die Masken aufsetzen, und wenn sie in meine Nähe kommen. Ich genauso. Ständig muss ich die Fenster aufreißen. Ich traue mir kaum etwas zu essen, weil ich Angst habe, die Hände nicht gründlich genug gewaschen zu haben. Und wenn ich dann mein Essen ausgepackt habe, kommt ein Kind – natürlich ohne Maske – zu mir, um mir irgendetwas total Wichtiges zu berichten. Pausen gibt es nicht, weil jeder Lehrer in der Klasse bleiben und auf Grund der gestaffelten Pausenzeiten, damit die Klassen sich nicht begegnen, selber die Aufsicht übernehmen muss. Mein Kopf brummt am Ende des Tages, wohl vorwiegend auf Grund des ständigen Maskentragens. Hinzu kommt die Tatsache, dass bei uns in der Grundschule auf die Abstandsregelungen innerhalb der Klasse verzichtet wird. Das erleichtert einiges, es führt jedoch dazu, dass wir jeden Moment damit rechnen, in Quarantäne geschickt zu werden. Denn wenn ein Kind (oder eine Lehrkraft) betroffen ist, dann betrifft es die gesamte Klasse. Gilt auch für meine Kinder in den anderen Einrichtungen. Drei Klassen sind in meiner Schule, eine weitere in Wirbelwinds Schule bereits in Quarantäne. Es ist wie Russisch Roulette. Wenn trifft es morgen?

Netz gesucht

Wo ist mein Netz? Bisher war es das Homeschooling. Es kann den Präsenzunterricht nicht ersetzen. Das wissen wir alle. Aber in diesen Zeiten ist das eben die Lösung, um Infektionen in der Schule zu vermeiden. Eine andere Möglichkeit wären ausgeklügelte Hygienekonzepte, Wechselunterricht, Luftfilteranlagen, umfangreiche Testmöglichkeiten vor Ort. Aber da dies auf der Prioritätenliste unseres Kultusministers soweit oben steht, wie die Bückware im Supermarkt, gleicht der aktuelle Präsenzunterricht mit der ganzen Klasse, ohne jeglichen Abstand einer politisch gewollten Durchseuchung. Und ich als Mutter und Lehrerin kann nur hilflos zusehen, wie die Gesundheit aller Kinder und Lehrkräfte und letztendlich der Gesellschaft aufs Spiel gesetzt wird.

Als den Lehrkräften die Möglichkeit gegeben wurde, sich impfen zu lassen, habe ich nicht gezögert. Es ändert nichts daran, dass die Zustände in den Grundschulen einer Pandemie nicht gerecht werden. Aber es gibt mir die Hoffnung, bei der Zahl der Kontakte, denen wir Lehrkräfte ausgesetzt sind, ein klein wenig besser aufgestellt zu sein als zuvor. Das Bauchgrummeln ist dennoch da, denn ich falle immer noch. Aber irgendwo da unten wartet nun ein Netz auf mich, dass mich hoffentlich auffangen wird. Aber viele andere haben dieses Netz nicht.

Wie geht es Euch mit der aktuellen Situation?

Eure Wiebke

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